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Projektberichte

06.07.2014
Gottes Gebote sind immer noch im Werden
Kabarett "KLÜNGELBEUTEL" entdeckt die Freiheit in den 10 Geboten

Lieber Pfarrer Behmenburg, seit 1990 hat das Kirchenkabarett "KLÜNGELBEUTEL" mehr als 700 Auftritte absolviert. Kürzlich waren Sie mit einer "Nachlese zum Katholischen Kirchentag in Regensburg" in der Melanchthon-Akademie zu erleben. Die kabarettistische Auslegung der 10 Gebote brachte das Publikum nicht nur wie gewohnt zum Lachen, es gab durchaus auch ernste Töne. Wie kam es dazu?

Der Pfarrer und Kabarettist Wolfram Behmenburg

Wolfram Behmenburg: Der Katholikentag hatte den KLÜNGELBEUTEL eingeladen. Zum einen sollten wir dort noch zwei Mal „Vielen Dank, Joachim“ spielen, unseren kabarettistischen Lobgesang zum Abschied von Kardinal Meisner. Was ja auch schon mal erstaunlich ist: dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ein Kirchenkabarett offiziell um so einen Programm-Beitrag bittet. Man versteht jetzt auch noch mal besser, warum Kardinal Meisner seinerzeit immer wieder davor gewarnt hat, einen Katholikentag zu besuchen.

Und dann kam wenig später seitens des Katholikentages noch eine zweite Anfrage: Ob wir bereit wären, im Rahmen der allmorgendlichen biblischen Impulse als Kabarett eine Bibelarbeit zu den 10 Geboten beizusteuern. Das ist natürlich eine Herausforderung – und ja auch eine Gratwanderung, bei der man nach beiden Seiten abstürzen kann: Wenn es nur lustig ist, aber der Tiefgang fehlt, wäre man ebenso an der Aufgabe gescheitert als wenn es nur ernst zugeht und der Unterhaltungsaspekt und die Satire zu kurz kommen.

Aber es ist natürlich auch ein großer Ausdruck von Vertrauen und Wertschätzung, dass der Katholikentag dem KLÜNGELBEUTEL dieses Projekt zugetraut hat. Faktisch war es dann ein richtig dickes Brett, das wir da zu bohren hatten, über viele Wochen: zunächst im Schreiben des Textes und dann in der Probenarbeit.

"Ich bin Dein Herr und Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben." So lautet das erste Gebot. Sie sagen jedoch, es gehe auch um Befreiung aus der Gefangenschaft.

Wolfram Behmenburg: Im Judentum heißt das erste Gebot anders, als Sie es gerade zitiert haben. Da heißt es: „Ich bin der Herr, dein Gott. Ich habe dich aus der Knechtschaft befreit.“ Nur dies, ohne dass ein einziges „Du sollst“ darin vorkommt. Das fand ich schon erstaunlich, dass im Judentum die Überschrift „Freiheit“ über allen Geboten so wichtig ist. Bei Luther und im Katholischen Katechismus ist es dann leider genau umgekehrt: Da hat man den Bezug zur Befreiungsgeschichte des Volkes Israel beim 1. Gebot sogar weggelassen. Diese Diskrepanz war mir selber vorher auch nicht bewusst, ich habe das bei der Beschäftigung mit den Geboten jetzt erst so richtig gelernt, und so haben wir daraus einen wichtigen inhaltlichen Strang unserer Bibelarbeit gemacht: Der rote Faden – auf der Bühne dann auch sichtbar aufgespannt – der alle Gebote miteinander verbindet, ist die Freiheit. Und nicht die Moral, wie wir uns angewöhnt haben zu denken.

Welches Gebot beeindruckt Sie persönlich besonders?

Wolfram Behmenburg: Das erste, ganz klar. Siehe oben.
Aber dann auch das Sabbatgebot. Wahrscheinlich, weil ich das persönlich am meisten brauche: diesen Ruf, immer wieder loszulassen und auszusteigen aus dem Hamsterrad des Immer-Mehr und Immer-Besser und Immer-Schneller.

Haben Sie während Ihrer Recherche zu der kabarettistischen Nachlese selbst etwas Neues dazugelernt?

Wolfram Behmenburg: Ich habe sehr profitiert von einem ausführlichen Textgespräch mit Martin Bock, dem Leiter der Melanchthon-Akademie, und meinem ehemaligen Kollegen und jetzigen Studentenpfarrer Jörg Heimbach, die sich beide mit der jüdischen Tradition und dem jüdischen Denken sehr gut auskennen und die mir geholfen haben, mit diesem für uns zunächst oft fremden Blick vieles in den Geboten neu und frisch zu sehen. Und so etwas brauchte ich unbedingt, um dann auf kreative Ideen für die Bühnenumsetzung zu kommen.

Was ich eben über den roten Faden „Freiheit“ gesagt habe, gehört zum Beispiel zu den Dingen, die ich bei der Beschäftigung neu gelernt habe. Ebenso das jüdische Verständnis von der Unabgeschlossenheit der Offenbarung der Gebote. In einer rabbinischen Geschichte heißt es dazu: Gott war damals am Sinai so begeistert von der Thora, dass er wie betrunken war von der Kraft und Schönheit seiner Gebote. Und so hat er sie in einem einzigen großen begeisterten Schwall alle gleichzeitig ausgesprochen und auf die Erde gesandt. Das Volk Israel hat das aber in dem Moment nur als ein lautes Donnern gehört. Sie waren schwer beeindruckt, hatten aber nichts verstanden. Und so baten sie Gott, ob er das nicht noch mal sagen könne.

Okay, sagte Gott, dann das Ganze noch mal langsam.

Und diese zweite langsame Offenbarung der Gebote, die dann folgte, ist bis heute noch nicht zu Ende. Die geht immer noch weiter. Der Himmel ist gleichsam immer noch offen und Gott redet immer noch weiter. Jedes Gespräch über die Gebote, jeder Versuch, sie zu verstehen und für heute auszulegen, so sagt man im Judentum, ist daher zu verstehen als ein Teil dieser Offenbarung selbst.

Für mich war das am Ende eine Steilvorlage für die Grundidee unserer Bühneninstallation: eine rote Schnur, an der die 10 Gebote als einzelne Tafeln hängen, und jede Tafel hat eine beschriftete Vorderseite mit dem jeweiligen Gebotstext und eine schwarze verknitterte Rückseite. Und auf dieser schwarzen Rückseite, dem Symbol für die noch nicht entdeckte Fortsetzung der Gebote ins Heute, entziffert unser „Museumsprophet“ dann alle möglichen verrückten Sachen, die er dem Publikum – als vermeintlich vorgefunden – hemmungslos um die Ohren schlagen kann.

Sind die 10 Gebote heute noch sinnvoll?

Wolfram Behmenburg: Wenn man die Offenbarung der Gebote wirklich als Prozess versteht, wie ich es gerade im Anschluss an diese rabbinische Geschichte geschildert habe, dann stellen uns die Gebote ja immer wieder neu vor diese Aufgabe, das geoffenbarte Gotteswort der Thora, also bildlich gesprochen: den Text auf der Vorderseite unserer Gebote-Tafeln, ebenso ernst zu nehmen wie die kryptische schwarze Rückseite, die mir sagt: Und jetzt du! Setze du das Gebot fort, heute in deiner Zeit und mit deinen Mitteln – und sieh mal, worauf du da kommst.

Vielen Dank für das Gespräch! Wann kann man den KLÜNGELBEUTEL mal wieder live erleben?

Wolfram Behmenburg: Wir gehen jetzt erst mal wieder in eine längere Werkstatt-Phase. Wenn es gut geht, gibt es im nächsten Jahr dann wieder ein neues KLÜNGELBEUTEL-Programm.



Text: Angelika Knapic
Foto(s): KLÜNGELBEUTEL