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Projektberichte

24.05.2015
„Luther gehört nicht mehr allein den Protestanten“
Dr. Martin Bock: „Der Thesenanschlag hatte über die Kirchenspaltung hinaus weit reichende gesellschaftliche Folgen“

Ein Satz von Dr. Martin Bock ließ die Zuhörer merklich aufhorchen: „Luther gehört nicht mehr allein den Protestanten“, sagte der Leiter der Melanchthon-Akademie, als er kürzlich im Saal der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen über den bevorstehenden 500. Jahrestag des Beginns der Reformation sprach.

Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul veranstaltete den Vortrag, Dr. Martin Bock kam als Referent in das Frechener Gemeindehaus.

„Auf dem Weg in das Jahr 2017: büßen - gedenken - feiern?“ war der Vortrag überschrieben, und Bock ließ keinen Zweifel daran, dass er die zentrale Figur Martin Luther, ihre Leistung und Bedeutung, eingebunden in historische Kontinuitäten sieht. „Er wollte kein Stifter einer neuen Religion sein, sondern ein Erneuerer.“

Keine Feier „in abgeschlossenen Räumen“
Daher ist es für Martin Bock auch selbstverständlich, dass die Protestanten ihr großes Jubiläum nicht für sich „in abgeschlossenen Räumen“ feiern dürfen, sondern gleichsam Fenstern und Türen öffnen müssen – auch und vor allem, um die katholischen Brüder und Schwestern zum Mitdenken einzuladen. Ohnehin seien große Jubiläen nicht von ihrem gesellschaftlichen Kontext zu trennen. Bock erinnerte an vorangegangene runde Reformationsjubiläen, an 1917, 1817 oder 1717, die ebenfalls ganz im Zeichen der jeweiligen historischen Situation standen: Da sei es um Weltkriegstheologie, um den sich abzeichnenden demokratischen Aufbruch beziehungsweise die Fragen der Aufklärung gegangen.

Thesenanschlag hatte Auswirkung auf die Politik
Den Protestanten gehöre die Reformation auch deshalb nicht alleine, weil Luthers Thesenanschlag über die Kirchenspaltung hinaus weit reichende gesellschaftliche Folgen hatte, in Bereichen wie der Bildung oder politischer Willensbildung etwa oder wenn es um allgemeine Fragen des Zusammenlebens gehe. Auch die Katholiken hätten mit den Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Ziele der Reformation aufgegriffen, etwa den Gebrauch der Landessprache im Gottesdienst, die Beteiligung von Laien oder das Amtsverständnis der Geistlichen.

Reformgedanken gab es schon im Mittelalter
Martin Bock betonte allerdings, dass die Reformgedanken nicht erst mit Luthers Wirken aufgetaucht seien. Da habe es im Mittelalter Vorläufer gegeben, Bernhard von Clairvaux zum Beispiel oder die Ordensbewegungen insgesamt, in deren Entstehen sich schon eine Unzufriedenheit mit dem Zustand der Kirche ausgedrückt habe. „Luther wollte nicht spalten, er hat ja auch bis zum Tag seiner Hochzeit noch den Habit der Augustiner getragen“, sagte Brock. Auf der anderen Seite sei Luther ja auch nicht für alle Protestanten der zentrale Bezugspunkt. Neben und nach ihm habe es andere protestantische Reformatoren gegeben, deren Anhänger eine je eigene Tradition ausgebildet hätten.

Martin Luther ein „Zeuge Jesu“
Es komme darauf an, den Katholiken zu vermitteln, dass Martin Luther auch „ein Teil ihrer Tradition“ sei, so Bock. Da mache die Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Hoffnung, wie zuletzt das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ der „Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit“ gezeigt habe. So werde Luther von der Katholischen Kirche nicht mehr als Häretiker (Ketzer, d. Red.) angesehen, sondern als „Zeuge Jesu“, und wenn katholische und evangelische Theologen miteinander redeten, dann sei die Rechtfertigungslehre längst nicht mehr die große trennende Frage.

Kölner Katholiken sollten Stellung beziehen
Allerdings erhofft er sich der Leiter der Melanchthon-Akademie beispielsweise von den Kölner Katholiken deutlichere Stellungnahmen, etwa wenn es um die Hinrichtung von Adolf Clarenbach und Peter Fliesteden als Ketzer im Jahre 1529 gehe oder um den Reformationsversuch von Philipp Melanchthon. Auf der anderen Seite sollten sich auch die Protestanten schmerzhaften Aspekten wie Luthers verhängnisvollem Antisemitismus stellen, Bock sprach in diesem Zusammenhang von einem „heilenden Gedächtnis“.

„Veränderte Gedenkkultur“ durch Reformationsjubiläum?
Nennenswerte Fortschritte auf dem Weg zu einer Einheit der beiden Kirchen seien in den verbleibenden zwei Jahren bis zum Jubiläum selbstverständlich nicht zu erwarten, aber vielleicht eine „veränderte Gedenkkultur“. Und ganz allgemein, so Bock lächelnd, solle man den Leitsatz im Kopf behalten: „Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch nicht das Ende.“

„Kölner Psalter“ verspricht ökumenische Annäherungen
Im anschließenden Gespräch wurde deutlich, dass einige Zuhörer – darunter nicht wenige Katholiken – durchaus eine „Vielfalt“ der Meinungen in Religionsfragen zu schätzen wissen. Andere meinten, man solle „feiern“, statt über theologische Fragen zu streiten, und dazu vor allem die „Nicht-Christen“ aus der Nachbarschaft einladen. Doch Martin Bocks Ausführungen fanden auch Unterstützer, und für die konnte Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul „zarte ökumenische Annäherungen“ in Frechen als Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum ankündigen: Die katholische und die evangelische Gemeinde werden sich am „Kölner Psalter“ beteiligen, das heißt gemeinsam einen Psalm aus dem Alten Testament auswählen und ihn auf verschiedene Weise in ihre Gemeindearbeit einbeziehen.



Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans