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Projektberichte

04.09.2015
Vortrag in der Melanchthon-Akademie: War Luther Antisemit?
Das deutsch-jüdische Verhältnis als „Tragödie der Nähe“ beleuchteten Professor Dr. Dietz Bering und Dr. Markus Schwering

In seinem gleichnamigen Buch vertritt der Sprachwissenschaftler Professor Dr. Dietz Bering die These, dass Luther eine antisemitische Haltung gegenüber den Juden hatte. Ein Vortrag zu dem Thema fand kürzlich in der Kölner Melanchthon-Akademie statt – in Kooperation mit der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Daran schloss sich eine Podiumsdiskussion mit Dr. Markus Schwering, Kulturredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, unter Beteiligung des Publikums an.

Sie bereicherten die Akademiearbeit in der Kölner Südstadt: Sprachwissenschaftler Professor Dr. Dietz Bering und der Journalist Markus Schwering (v.li.)

Bering eröffnet seine Rede charmant: Da er wohl eine Stunde benötigen werde, um seine Theorie über Martin Luthers Verhältnis zu den Juden darzulegen, möchten die Zuhörer doch keine Scheu haben, ihm ihre Langeweile zu zeigen! Denn dies sei das untrügliche Zeichen für ihn, den Referenten, dann zügig zum Schluss zu kommen. Die Bemerkung lockert die erwartungsvolle Stimmung im Saal unter den rund 50 Teilnehmenden sofort auf. Langeweile jedoch kommt bei der interessierten Hörerschaft nicht auf – obwohl es den Anwesenden schon einiges abverlangt, der „Beringschen Theorie“ über die angekündigte Strecke zu folgen. Wobei gesagt werden muss: Voll sichtbaren Elans widmet sich der emeritierte Professor für Sprachwissenschaften so ausdrucksstark seiner Rede, dass diese Begeisterung des 80-Jährigen sofort ansteckend wirkt.

Reformatorische Umwälzungen
Zunächst erläuterte Bering die wichtigsten Stationen in Martin Luthers Leben, 1523 schreibt der Reformator über die Juden: „Will man ihnen helfen, so muss man [...] sie freundlich annehmen, muss sie Gewerbe treiben und arbeiten lassen“. 1543 aber fordert er dann erschreckende Gewaltmaßnahmen: „Zum Ersten: dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke [...]. Zum Zweiten, dass man auch ihre Häuser in gleicher Weise zerbreche und zerstöre.“ Das Verhältnis von Luther zu den Juden zeige sich, so der Kölner Sprachwissenschaftler, als "Tragödie der Nähe": Die reformatorischen Umwälzungen hätten Luther so nah an die Juden heranrücken lassen, dass die alte Distanzstellung aufgehoben war - aus der bedrohlichen Nähe aber erwuchsen massive Abgrenzungsreaktionen.

Der Hass Martin Luthers auf die Juden
Dabei habe Luther, so Bering, in seinem Leben kaum Juden kennengelernt, da sie im 16. Jahrhundert überhaupt nur in kleiner Zahl in Deutschland lebten. Luthers Aussagen seien daher als Phantasmagorien (Truggebilde) zu bewerten. Zugleich bleibt der Sprachwissenschaftler bei der Formulierung seiner Eingangsthese: „Der Hass Martin Luthers auf die Juden ist als Ergebnis intimer Nähe entstanden.“ An dieser Stelle bemüht Bering einen Vergleich aus der Naturwissenschaft, die sogenannte Kontrast-Betonung, um zu verdeutlichen, warum diese Nähe Luthers zu den Juden derart in Hass umschlagen konnte. Die Kontrast-Betonung besagt, vereinfacht dargestellt: Bei zwei ähnlichen Dingen werden bewusst die Kontraste verstärkt, ja verschärft. Zur besseren Veranschaulichung der Methode greift der Referent zu einem bekannten Beispiel aus dem rheinischen Leben: „Die Kontrast-Betonung ist vergleichbar mit dem Nachbarschafts-Verhältnis von Köln und Düsseldorf…!“ Auch hier gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden Städten, die Unterschiede werden jedoch bewusst betont, quasi zur Bekräftigung des bestehenden (und beiderseits gern gepflegten) Konkurrenz-Verhältnisses. Zum Beleg seines Fazits führte Bering noch einige Zitate des Reformators an, etwa seine Bezeichnung der Juden als Teufel – und bringt es auf eine klare Formel: „Ja, Luther war Antisemit!“

Interview zur Neuerscheinung seines Buches
An dieser Stelle tritt Dr. Markus Schwering hinzu, der als Kultur-Redakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ im November 2014 bereits ein Interview mit dem Professor zur Neuerscheinung seines Buches geführt hatte. Die beiden Herren kennen sich also. Und so setzt sich Schwering auch ohne Umstände zu Bering auf die Bühne und wendet er sich gleich an das - von ihm offenbar in der Mehrheit als evangelisch identifizierte – Publikum: „Hier sitzen übrigens zwei katholische Kartei-Leichen…“, stellt der Journalist trocken fest und deutet dabei auf Bering und sich. Schwering schafft es dann, die Kernpunkte der „Beringschen Theorie“ im Dialog mit dem Sprachwissenschaftler noch einmal plastisch für die Zuhörerschaft herauszuarbeiten.

„Luther wäre über Auschwitz entsetzt gewesen“
Die beiden Wissenschaftler (Markus Schwering hat Musik, Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert) diskutieren nun die Bedeutung Martin Luthers für das Geschehen im Holocaust. Bering stellt dazu fest: „Luther wäre über Auschwitz entsetzt gewesen. Aber er ist nicht unbeteiligt an Auschwitz, da die Nazis ihn systematisch vor den Karren gespannt haben. Er wurde als Brandbeschleuniger benutzt.“ Relativierend ergänzt Bering seine Aussagen noch: Selbstredend könne Luther als Zeitgenosse des 16. Jahrhunderts nicht direkt als Mitverursacher für Handlungen herangezogen werden, die fast 450 Jahre später verübt wurden.

Dank für offenes Gespräch in der Akademie
Jetzt wendet sich Schwering an das Publikum, er hat in der Zwischenzeit schon mehrere Handzeichen wahrgenommen und eröffnet die Diskussion. Ein Besucher jüdischen Glaubens betont, wie dankbar er für diesen anregenden Vortrag sei. Es begeistere ihn, wie hier in der evangelischen Melanchthon-Akademie so offen über Martin Luther und dessen zerrissenes Verhältnis zu den Juden gesprochen werde, und er wünsche sich, dass diese Veranstaltung ein größeres Publikum erreichen könnte. Daher sein Vorschlag: „Ich würde mich glücklich schätzen, an diesem Vortrag in der Köln-Arena teilnehmen zu dürfen.“ Dietz Bering schmunzelt und nickt.

„Ist Luther nicht doch ein Judenfreund?“
Ein weiterer Zuhörer hinterfragt das Gesagte: „Ist Luther nicht doch ein Judenfreund?“, habe doch der Papst Luther zu seiner Zeit als „Judenfreund“ bezeichnet. Bering verneint dies und sagt, dass er in der Abgrenzung Luthers von den Juden vielmehr den Grund darin sehe, dass der Reformator diese genutzt habe, „seine“ Reformation voran zu treiben. Auch Sprachwissenschaftler Bering würdigt am Ende des Veranstaltungstages noch einmal die kontroverse Luther-Diskussion in der Kölner Melanchthon-Akademie als „sinnvoll und nobel“ – besonders im Hinblick auf die 500-Jahr-Feier der Protestanten im Jahr 2017. Und er findet ein versöhnliches wie kühnes Schlusswort, dass jedenfalls zum Nachdenken anregt: „Der Dialog zwischen Juden und Christen ist gar nicht notwendig, da die Nähe zueinander nur begriffen werden muss.“

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Das Buch zum Vortrag: Professor Dr. Dietz Bering, „War Luther Antisemit? Das deutsch-jüdische Verhältnis als Tragödie der Nähe“, Berlin University Press, 322 Seiten, 29,90 Euro.



Text: Alexandra Seiter
Foto(s): Alexandra Seiter