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Projektberichte

23.05.2016
Miteinander die Welt verändern beim 13. Kölner Ökumenetag
Die Verbesserung der Welt soll nicht auf Christen und Juden beschränkt bleiben, sondern auch die Muslime in den Blick nehmen

Mit kraftvollen christlich-jüdischen „Bohrungen“ in biblische Texte sowie der Bekundung, mit dem Wertekanon der Religionen gemeinsam heilend in die Welt hinein wirken zu wollen, begann der 13. Kölner Ökumenetag am Pfingstmontag. Er startete in der Kirche des GUBBIO, des Zentrums der katholischen Obdachlosenseelsorge im Stadtdekanat Köln. Dort, im ehemaligen Franziskanerkloster in der Ulrichgasse, schloss er mit einem ökumenischen Vespergottesdienst. In seiner kritischen, provozierenden Predigt nahm der Sozialethiker Professor Friedhelm Hengsbach auch die Beschwernisse des deutschen Sozialstaates unter die Lupe. Der Jesuit forderte die Herstellung einer umfassenden sozialen Gerechtigkeit für unsere Gesellschaft. Beispielsweise könne die Flüchtlingsfrage nicht isoliert von einer Gerechtigkeitsdebatte gelöst werden.

Pfarrer Dr. Martin Bock (li.) stellt Rabbiner Jehoschua Ahrens vor

Eingeladen zum 13. Kölner Ökumenetag hatten der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, der Katholikenausschuss in der Stadt Köln und der Evangelisch-Katholische Arbeitskreis im Stadtbereich Köln. In Zusammenarbeit mit der evangelischen Melanchthon-Akademie und dem Katholischen Bildungswerk Köln ging es zentral um das Thema „Miteinander unsere Welt verändern. Biblische und ökumenische Pro-Vokationen für unsere Stadt“. Grußworte sprachen Bürgermeister Hans Werner-Bartsch und der im Erzbistum Köln neu eingeführte Weihbischof Rolf Steinhäuser.

Ökumene stark nach außen getragen
„Wir haben versucht, die Ökumene ganz stark nach außen zu wenden. Und zu fragen, welche Rolle spielt die Ökumene für das Zusammenleben in der Stadt, wo ist die christliche Botschaft gefragt?“, fasste der evangelische Theologe Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie und Beauftragter des Kirchenverbandes für das ökumenische Gespräch, das Besondere des Tages zusammen. Mit welchen Mitteln das gelingen könne und wo Handlungsbedarf bestehe, wurden unter anderem auch in den vier Gesprächskreisen erörtert, die am Nachmittag in der Melanchthon-Akademie stattfanden. Die 100 Teilnehmenden trafen dort auf die Referierenden: Stadtsuperintendent Rolf Domning, Hannelore Bartscherer (Vorsitzende des Katholikenausschusses) und die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn, auf Willi Does (Vorsitzender der Emmausgemeinschaft in Köln), Claus-Ulrich Prölß (Kölner Flüchtlingsrat e.V.) und David Kannemann (Kirchliche Hochschule Wuppertal).

"Die Welt reparieren und verbessern"
Zum Auftakt des Programms unternahmen Bock und der Rabbiner Jehoschua Ahrens, der aktuell in Zürich seine Doktorarbeit verfasst und zuvor auch als Gemeinderabbiner in Düsseldorf tätig war, eine dialogische Bibelarbeit über die Apostelgeschichte und das zweite Buch Mose (Exodus) zum Thema „Die Welt heilen“. Ahrens, 1978 in Erlenbach am Main geboren, freute sich, dass die Veranstaltenden den ökumenischen Rahmen des Tages um die jüdische Komponente erweitert hatten. Die Apostelgeschichte sei natürlich ein Pfingsttext, erinnerte Ahrens daran, dass im Judentum das Wochenfest Schawuot 50 Tage nach dem Pessachfest gefeiert werde. „Das verbindet uns sehr stark miteinander.“ Das gemeinsame Thema laute Tikkun Olam. In der deutschen Übersetzung bedeute der hebräische Begriff so viel wie „die Welt reparieren, sie verbessern, vervollkommnen“. Er beruhe auf dem jüdischen Konzept, aktiv in die Welt hineinzugehen, sie zu einem besseren Ort zu machen. „Wir möchten aktiv die Welt vorbereiten.“ In der jüdischen Tradition stehe zentral eine wichtige Aussage von Gott an Abraham: „Durch alle Familien (Völker) der Welt sollst Du gesegnet sein.“ Dieser Universalismus gelte für alle Völker. „Wenn es allen Menschen gut geht, geht es auch uns gut“, so die jüdische Auffassung. Interessant findet er, dass es gerade das kleine Volk der Juden mit heute 12 Millionen Menschen sei, das stellvertretend eine solche universale Rolle spielen solle.

„Wir haben mehr Aufgaben, mehr Verantwortung“
Zweimal, so Ahrens, sei Gottes Bestreben, die ganze Menschheit zu einem Bund zu machen, fehlgeschlagen. In der Exodus-Geschichte sei man aus jüdischer Sicht von einer universalen zu einer partikularen Ordnung gelangt: „Gott sucht sich ein Volk aus.“ Dieser Partikularismus bedeute aber keine Bevorzugung. Im Gegenteil: „Wir haben mehr Aufgaben, mehr Verantwortung. Wir kriegen insgesamt 613 Ge- und Verbote.“ Jedoch, betonte Ahrens, sei jeder Gerechte auf der Erde den Juden in dieser und der kommenden Welt gleichgestellt. Das passiere auf der Bedingung, dass die Nichtjuden sieben Gebote halten müssten. „Aus jüdischer Sicht haben Sie ein Schnäppchen gemacht“, brachte Ahrens die Besuchenden zum Schmunzeln.

Wie kann sich Religion – konfliktlos – einmischen?
Auserwählt sein bedeute, ein Beispiel zu geben, stellte er heraus. Die schwache Position, die das Beispielvolk der Juden habe, „hilft uns wohlmöglich dabei“, die ethischen und moralischen Auffassungen besser zu „verkaufen“. Dieses kleine jüdische Volk habe die Welt gelehrt, Freiheit zu bekommen und mit dieser Freiheit umzugehen. „Es gibt so viele Dinge, die aus der jüdischen Tradition kommen, etwa die Gleichheit vor dem Gesetz, Würde des Menschen, Nächstenliebe.“ Durch Jesus, „einen von uns“, teile man mit dem Christentum diese gemeinsamen Wurzeln. Ahrens meinte, dass alle religiösen Menschen Ethik und Moral teilten und sie sich gemeinsam den Herausforderungen stellen und die Welt verbessern könnten. Aber spiele Gott, spielten diese Werte in einer säkularisierten Gesellschaft noch eine Rolle? „Die Trennlinie verläuft heute eher zwischen religiösen Menschen mit einem Wertekanon und denen, die diesen nicht haben“, sagte der Rabbiner, und benannte die zentrale Herausforderung: „Wie können wir zeigen, dass Religion keine Quelle von Konflikten ist, sondern Konflikte löst – und wie sich Religion einmischen kann?“ Das gehe auch im interreligiösen Dialog.

Christentum ohne Hindernisse sei langweilig
Bock nannte Tikkun Olam ein faszinierendes Thema, „das uns sehr nahe ist“ – und eine Brücke, um gemeinsam neu loszulegen. „Was hat das mit Pfingsten zu tun?“ Bock beschrieb ein Computer-Spiel seines Sohnes, in dem es darum gehe, die Welt ein Stück schöner, besser und größer zu machen. Viele sagten, gegen eine virtuelle Weltverbesserung sei nichts einzuwenden, so Bock. Aber in diesem Spiel gebe es keinen Gegenwind und es sei daher langweilig. Gegenwind habe das jüdische Volk stets erfahren. Auch im Neuen Testament und in der Kirchengeschichte gehe es mit dem Gegenwind weiter. „Die großen Bewegungen in der Kirchengeschichte wären vielleicht nicht ohne Gegenwind möglich gewesen, auch nicht die ökumenische Bewegung“, vertrat Bock die These, dass die Weltverbesserung des Christentums ohne Hindernisse langweilig sei. Die Apostel- und Pfingstgeschichte vermittle das Gefühl, „da wird Kirche geboren“. Bock sprach über die Periode vom Pessachfest bis Schawuot von einer besonderen, ungeduldigen, wartenden Zeit des Gedenkens, Erinnerns und der Trauer im Judentum. Auch im 1. Kapitel der Apostelgeschichte entdecke man eine Zeit des Wartens. Bis „endlich der Tag der 50 gekommen war“. Lukas habe die Sinai-Geschichte nochmal neu aufgenommen und daran erinnert, „dass die Offenbarung am Sinai die 70 Völker im Blick hatte, die Welt“.

Nicht an der Rettung der Welt zweifeln
Die Pfingstgeschichte knüpfe an eine unruhige Zeit an und hoffe auf etwas Neues, auf eine heile Welt. Auf eine Änderung weise auch das Symbol des Tosens und Brausens hin. „Die Apostelgeschichte schreibt uns Völker Christi ins Stammbuch, dass wir beteiligt sind, die Gebote zu halten“, erläuterte der Akademieleiter. Laut Bock fragte Emil Fackenheim, Begründer der jüdischen „Theologie nach Auschwitz“, ob und wie nach Auschwitz noch Tikkun Olam möglich sei? Die Antwort des deutschen Philosophen und Rabbiners sei auch an uns Christen gerichtet gewesen. Erstens: Es gibt nach Auschwitz kein Tikkun Olam, die Welt ist verloren. Zweitens: Wenn die Welt weitergehen soll, muss es ein Heilen geben. „In Auschwitz und danach hängt die Existenz Gottes am seidenen Faden“, so Bock. „Wenn wir an der Lebendigkeit Gottes interessiert sind, dürfen wir an der Rettung der Welt nicht zweifeln und verzweifeln, sondern müssen alles Mögliche dafür tun.“ So ein Gegenwind komme der Heilung der Welt entgegen. „Wir Christen tun so, als hätten wir mit dem Neuen Testament den Juden etwas voraus. Auch das muss geheilt werden“, betonte Bock.

Kein Gegeneinander mehr
Der evangelische Pfarrer ging schließlich auf eine bahnbrechende Erklärung ein, die Ahrens innerhalb einer Gruppe führender orthodoxer Rabbiner im Dezember 2015 mitveröffentlicht hat. In der deutschen Übersetzung heißt sie „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen". Aus ihr zitierte Bock: „Juden wie Christen haben eine gemeinsame Aufgabe in der Verheißung des Bundes, die Welt unter der Herrschaft des Allmächtigen zu verbessern (...) Wir verstehen das Zögern beider Seiten, diese Wahrheit anzuerkennen, und fordern unsere Gemeinschaften zur Überwindung dieser Ängste auf, um ein auf Vertrauen und Respekt gegründetes Verhältnis zu schaffen.“ Kein Gegeneinander mehr, sondern ein gemeinsames und beherztes Heilen unserer Beziehung und ein einerseits unmögliches, andererseits notwendiges Flicken dieser Welt, folgerte Bock. „Wir sehen das Wohlwollen auf christlicher Seite. Wir wollen Respekt zurückgeben und die christliche theologische Position akzeptieren“, sagte Ahrens zu den Gründen der Erklärung. Die Zusammenarbeit bei der Verbesserung der Welt solle aber nicht auf Christen und Juden beschränkt bleiben, sondern unter anderem auch die Muslime in den Blick nehmen, antwortete der Rabbiner auf eine Publikumsfrage.

Ökumene entwickelt sich „in Sprüngen“
Im Anschluss an die Bibelarbeit sprach der Priester und Theologe Professor Peter Neuner, der bis 2006 an der Universität München lehrte, über „Gottes Gerechtigkeit und das Heil der Welt“. Der katholische Fachmann für Ökumenische Theologie betonte, dass die Reformation nicht aus den Missständen der mittelalterlichen Kirche allein zu erklären sei. Sie habe sich entwickelt aus der befreienden Botschaft des Evangeliums. Neuner thematisierte ebenso, ob heute zwischen römisch-katholischer und protestantischer Kirche ein Weiterkommen möglich sei. Wahrscheinlich müsse man damit rechnen, dass die Ökumene sich in Sprüngen entwickle. Es gelte zu fragen, was auch für die Gesellschaft unser ökumenischer Auftrag sei. Aus dieser Perspektive finde man zu einem engeren Schulterschluss. Die Kirchen dürften das rettende Evangelium nicht preisgeben. Ein Kriterium, das schon für Luther gegolten habe.

Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft im Gespräch
Im Anschluss an die Mittagspause gab es intensive Gesprächskreise in der Melanchthon-Akademie. Hannelore Bartscherer, Anke Brunn, Willi Does, Claus-Ulrich Prölß und David Kannemann diskutierten gemeinsam darüber, wo sich ihre eigenen „Spielräume“ öffnen, um miteinander diese Welt zu verändern. Ein ökumenischer Vespergottesdienst im GUBBIO unter dem Leitwort „Dein Reich komme mitten in der Stadt“ hat den 13. Kölner Ökumenetag mit Professor Dr. Friedhelm Hengsbach gegen 17 Uhr beendet.



Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich