Suche/Archiv
Projektberichte

23.07.2016
„Aufstieg einer Minderheit – 500 Jahre Protestanten in Köln“
500 Jahre protestantische Geschichte und evangelisches Leben in Köln

Adolf Clarenbach „grüßt“ Dorothee Sölle. Porträts dieser beiden schmücken den Umschlag des neuen Buches von Klaus Schmidt. Es scheint, als blicke der 1529 gemeinsam mit Peter Fliesteden als „Ketzer“ vor den Toren Kölns hingerichtete Clarenbach durch die Jahrhunderte hinüber zur streitbaren Theologin Sölle (1929-2003). Eine einfallsreiche Komposition.

Vor der Kölner Kartäuserkirche: Klaus Schmidt neben einer Bronzeplatte zur Erinnerung an Pfarrer Georg Fritze

Gut gewählt war mit dem Kapitelsaal an der evangelischen Kartäuserkirche auch der Ort der Vorstellung der Publikation „Aufstieg einer Minderheit – 500 Jahre Protestanten in Köln“. „An dieser Kirche hat Pfarrer Georg Fritze gewirkt“, erinnerte Pfarrer Mathias Bonhoeffer an den religiösen Sozialisten und Pazifisten. „Uns, die wir heute hier arbeiten, war er immer ein Vorbild und Ansporn.“

Treueeid auf den Führer verweigert
Selbstverständlich stellt Pfarrer i.R. Klaus Schmidt, Jahrgang 1935, den auch „Roten Pfarrer“ genannten Theologen vor, der bald gegen den Nationalsozialismus opponieren sollte. Nachdem Fritze den von der Landeskirche 1938 von den Pfarrern geforderten „Treueeid auf den Führer“ verweigerte, wurde er vom Konsistorium beurlaubt. Ein halbes Jahr später erlag der Geschmähte einem Herzinfarkt. „Im ´Dritten Reich´ sind die Protestanten in Köln wie im übrigen Deutschland mehrheitlich nazifiziert. Ehemals verfolgt, gehören sie nun zu den Verfolgern“, so Schmidt. Berufsverbote ergingen bereits früh für die NS-kritischen, sozialdemokratischen Vikarinnen Elisabeth von Aschoff, Emmi Bach, Ina Gschlössl, Annemarie Rübens und Aenne Schümer.

„Befreiungstheologische Poesie und Praxis“
Schmidts Publikation ist weitgehend chronologisch aufgebaut. Er spannt den Bogen von den Anfängen der Reformation bis in die Gegenwart. Dabei reichert der Historiker allgemeine und exemplarische Darstellungen mit biografischen Skizzen, sogenannten Biogrammen, zu ausgewählten Protestantinnen und Protestanten an.

Entwicklungen und Ereignisse
Was bei der Lektüre auffällt? Das Buch basiert auf einer Jahrzehnte währenden historisch-wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem evangelischen Köln (und Mülheim), was zu einer entsprechend neutralen Darstellung von Vorgängen und Persönlichkeiten führt. Zudem schildert Schmidt Entwicklungen und Ereignisse, an denen er entweder aktiv oder beobachtend teilgenommen hat, in einem verstärkt erzählerischen Stil. Dazu gehören etwa die Abschnitte über das 1968 bis 1972 in der Antoniterkirche gehaltene, insbesondere von Dorothee Sölle mit initiierte Politische Nachtgebet. Ihr, der Friedenskämpferin, die Schmidt gut gekannt hat, attestiert er eine „befreiungstheologische Poesie und Praxis“.

Bürger zweiter Klasse
Der langjährige Berufsschul- und Studentenpfarrer, Menschenrechtsaktivist, Friedensarbeiter und Autor zahlreicher Publikationen über Köln setzt mit seiner Darstellung im 16. Jahrhundert ein. Nichtkatholische, „Falschgesinnte“, Mitglieder der „lutherischen Sekte“ hatten in Köln einen schweren Stand. Die zahlreichen Protestanten, unter ihnen viele Flüchtlinge aus den südlichen Niederlanden, galten als Bürger zweiter Klasse. Ihre Religion durften sie weder öffentlich noch privat ausüben. Die in der damaligen freien Reichsstadt bekannten fünf protestantischen Gemeinden (drei reformierte, eine lutherische sowie Schiffer-Gemeinde) werden als „heimliche Gemeinden“ bezeichnet.

Erster öffentlicher Gottesdienst 1802
Denn möglichst unbemerkt hielten deren Angehörige trotzdem Gottesdienst in wechselnden Privathäusern. Ebenso wichen sie in benachbarte Orte aus. Beispielsweise seit 1610 ins rechtsrheinische, bergische Mülheim, wo etliche Kölner Protestanten nicht nur ungestört gemeinsam beteten, sondern auch eine neue Heimat fanden. Oder nach Bachem und Frechen. Am 4. Fastensonntag 1571 sollen 500 Kölner Protestanten den Gottesdienst in Bachem besucht haben. Die vom Kölner Magistrat im Laufe der Zeit verschieden streng formulierten Verbote für die protestantische Minderheit galten bis zum Einmarsch französischer Revolutionstruppen 1794. Erst unter napoleonischer Herrschaft erfuhren die Protestanten in Köln eine weitgehende bürgerliche Gleichstellung und Religionsfreiheit. 1802 feierten sie erstmals öffentlich Gottesdienst.

Bedeutende Frauen des Protestantismus
„Alle“, antwortete Schmidt auf die Frage nach seiner Lieblingsperson in der protestantischen Geschichte Kölns. Und führte aus, dass er die weiblichen als besonders wichtig empfinde: die sozial aktive Millionärswitwe Laura Oelbermann, die sozialpolitisch engagierte Hertha Kraus – und eben Sölle. „Ich war von Anfang an im Politischen Nachtgebet dabei gewesen. Ich halte Dorothee Sölle für die bedeutendste weibliche Gestalt des Protestantismus im vorigen Jahrhundert.“

Erstes offenes Kirchenasyl
Ebenso würdigt Schmidt die selbstkritischen Annäherungen der Evangelischen in Köln an das Judentum, die „befreienden Bewegungen“, „solidarischen Lernprozesse“ und „Akzente im neuen Jahrhundert“. Er geht ein auf die „studentischen Lernprozesse“, die politische Arbeit und Aktionen in und seitens der Kölner Evangelischen Studentengemeinde. Er erinnert an „ein erstes offenes Kirchenasyl“ in Köln 1992. Damals fanden „vier von Abschiebung bedrohte Roma-Familien auf Initiative des Kölnere Pfarrers Kurt Pick in der Antoniterkirche Zuflucht“.

Ökumenisches Engagement in Stadtteilen
Überhaupt diakonisches und soziales Engagement: Schmidt stellt unter anderem die evangelische Initiative Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ) mit ihrem Projekt „Überlebensstation für Obdachlose“ GULLIVER in einem Bogen der Hohhenzollernbrücke vor. Nicht zuletzt geht der Theologe auf die ökumenischen Wege und Fortschritte auf vielen Ebenen ein. Darunter das ökumenische Engagement in den Stadtteilen Höhenberg/Vingst mit dem Ferienlager „HöVi-Land“.

Nachwort von Franz Meurer
Als „Echo aus dem katholischen Köln“ hat sich Schmidt ein Nachwort von Franz Meurer, dem seit langen Jahren mit dem Autor befreundeten Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth (Vingst/Höhenberg), gewünscht und erhalten.
Zuschüsse zu den Druckkosten leisteten neben der Evangelischen Kirche im Rheinland auch die vier Kölner Kirchenkreise sowie die Evangelische Gemeinde Köln.

--------------------------------------------------------------------------------

Klaus Schmidt, Aufstieg einer Minderheit – 500 Jahre Protestanten in Köln, 132 Seiten, broschiert, Münster 2016, LIT Verlag, 19,90 Euro, ISBN 978-3-643-13361-8.

Der Autor steht für (kostenfreie) Lesungen zur Verfügung. Wer daran Interesse hat, kann sich an das Amt für Presse und Kommunikation wenden.



Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich