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Projektberichte

23.09.2017
Theaterduo „Eure Formation“ brillierte mit „Play Luther“
Turbulenter Geschichtsunterricht mit viel Wortwitz in der Melanchthonkirche

Ein Leben in 90 Minuten. Was schlichtweg unmöglich erscheint, gelang dem Theaterduo „Eure Formation“ mit seinem aktuellen Stück „Play Luther“ in der nahezu vollbesetzten Melanchthonkirche im Zuge einer turbulenten Darbietung. Mit furiosem Tempo, fesselnder Ausstrahlung, Wortwitz aber auch reichlich Empathie preschten die Schauspieler und Musiker Lukas Ullrich und Till Florian Beyerbach durch die Vita des Martinus Luder – der unter seinem späteren Namen Martin Luther als Kirchen-Reformator die Welt veränderte.

Till Florian Beyerbach (l.) und Lukas Ullrich preschen in einer 90-minütigen Inszenierung durch das bewegte Leben des Martinus Luder alias Martin Luther

Unmittelbar vor Beginn des Gastspiels kündigte Pfarrer Gerhard Johenneken die Darbietung mit einer kaum zu widerlegenden Allegorie an: „Wäre ich Jogi Löw, würde ich Martin Luther in die hintere Abwehr oder ins Tor stellen, denn an ihm kommt niemand vorbei.“

Staunen und leidenschaftliche Dynamik
In ihrer Kölner Premierenveranstaltung sahen sich die Künstler kurz darauf einem jungen Publikum aus Schülerinnen und Schülern gegenüber, die einen Geschichtsunterricht der besonderen Art erleben sollten. Dabei sorgten nicht zuletzt die im Stück verankerten musikalischen Beiträge im Dance-Sound – basierend auf Luthers Schriften – für offene Münder in den Reihen. In einer Mixtur aus reflektierter Dokumentation, Drama, Popkonzert und politisch-theologischem Kabarett entfachte das Ensemble eine leidenschaftliche Dynamik, die den Bühnenrand mühelos überwand. Und die Figur Luder/Luther im Minutentakt zum strahlenden wie blendenden Monolithen aufschichtete, an der sich die Gemüter nach wie vor scheiden.

Zwischen Vergangenheit und dem Jetzt
So beschränkte sich das Duo nicht darauf, die humanen, aufklärerischen und letztlich revolutionären Werke des Reformators in Zeiten des erkauften Sündenerlasses durch einen vom Papst abgesegneten Ablasshandel zu würdigen. Auch Luthers in späteren Lebensjahren ausgeprägter Antisemitismus wurde intensiv beleuchtet. So variiert die stringente Komposition des Stücks beständig zwischen Vergangenheit und dem Jetzt. Zum Beispiel im Vergleich zwischen dem Streben nach Macht und Reichtum der katholischen Kirche im Mittelalter und dem heutigen Kapitalismus in Form von Großkonzernen oder Börsenspekulanten.

Gewand einer universalen Angst
Den Schaffensdrang des verzweifelt um kirchliche Veränderungen bemühten Theologen kleidete die Inszenierung schneidend in das Gewand einer universalen Angst. Eine Angst, die sich wie ein Strick sowohl um das gegenwärtige als auch um das zukünftige Seelenheil der Menschen windet, und dabei die Unschuld zu ersticken droht. Atemlos präsentierten sich die Darsteller demzufolge nach der gefeierten Aufführung ihrem Publikum, das unzählige Eindrücke für die schulische Nachbearbeitung des Stoffes aus dem Gotteshaus getragen haben dürfte.

Kaum zu glauben, dass Ullrich und Beyersbach nur wenige Stunden darauf in zwei weiteren Vorstellungen an selber Adresse erneut zum Parforceritt durch das Leben eines Getriebenen aufforderten.

Weitere Hintergründe zum Stück bietet die Internetpräsenz www.playluther.de.



Text: Thomas Dahl
Foto(s): Thomas Dahl