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Projektberichte

03.11.2017
"Die Zeit ist reif" - Reformation-Live in der Gemeinde Mauenheim-Weidenpesch
Rollenspiel mit Luther und seinen Freunden am #Reformationstag

„Wie ginge es wohl zu, wenn 500 Jahre nach dem Thesenanschlag führende Köpfe der Reformationsbewegung, ihre Gegenspieler, dazu weltliche Fürsten, markante Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst jener Epoche, aber auch gemeines Volk „Bei Luthers zu Tisch“ geladen wären? - Das wäre den Versuch wert“, dachte man sich in der Gemeinde Mauenheim-Weidenpesch. Und so fand dieses Festmahl anlässlich des Reformationsjubiläums nicht in Wittenberg, sondern in der Erlöserkirche in der Derfflingerstraße statt. Und alle, wirklich alle waren erschienen: Martin Luther, Katharina von Bora, Melanchthon, Thomas Müntzer, Lukas Cranach, Zwingli, Calvin, Kurfürst Friedrich der Weise, Götz von Berlichingen, Erasmus von Rotterdam, Nikolaus Kopernikus und Matthias Grünewald.

Martin Luther, gespielt von Superintendent Markus Zimmermann, im Kreis seiner Freunde und Zeitgenossen


Rund 80 Bewohner des Veedels, darunter nicht wenige Vertreter der Katholischen Schwestergemeinde, hatten historische Rollen übernommen und führten – mit Unterstützung von Kostümverleih und Karnevalsausstattern – im „Schwarzen Kloster“ zu Weidenpesch ein prächtiges Rollenspiel auf. Aber trotz des teils imposanten äußeren Putzes ging es um mehr, wie Pfarrerin Susanne Zimmermann, Initiatorin des Ganzen und in der Rolle von Katharina von Bora ganz resolute Hausherrin, zur Begrüßung bemerkte: „Diese Vielfalt zeigt ja schon, dass die Reformation nicht das Werk eines Mannes war, sondern dass viele Männer und Frauen daran beteiligt waren - und dass sie mit Irrtümern und Leid verbunden war.“

Martinus Luther, verkörpert durch ihren Gatten Markus Zimmermann, Stellvertretender Stadtsuperintendent des Kirchenverbands Köln und Region und Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord , betonte, dass man sich auch der Gegenwart widmen werde: „Wie vor 500 Jahren stehen wir vor Veränderungen, die wir mitgestalten können. Dafür muss sich auch die Kirche verändern.“

Augenzwinkernd erinnerte sich „Luther“ an seinen ersten Besuch in Köln im Jahre 1512, als er im Kloster der Augustiner logierte, „dort, wo heute der Kaufhof steht“. Erfreulich war diese Stippvisite nicht gerade verlaufen, der intensive Ablasshandel in der Domstadt habe ihn doch sehr gestört und wegen ständiger Mäkelei sei ihm sogar Hausverbot für die Bauruine des Doms erteilt wurden. „Aber insgesamt sind die Menschen hier irgendwie warmherzig und tolerant“, schloss er mit einer versöhnlichen Note.

Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie in Köln, hatte als Philipp Melanchthon auch keine allzu guten Erinnerungen an seinen letzten Aufenthalt in der Stadt. Schließlich war der Reformationsversuch 1543 kläglich gescheitert, und auch heute – auf diese Spitze gegen aktuelle Äußerungen von Erzbischof Kardinal Woelki mochte Bock in seiner Tischrede nicht verzichten – blicke noch so mancher Kölner Altgläubiger mit Skepsis auf seine protestantischen Brüder und Schwestern. Als „wegweisend für die Ökumene“ bezeichnete Dieter Pilgenröther-Busche als Schweizer Reformator Ulrich Zwingli dagegen den Durchbruch zum gemeinsamen Abendmahl von Lutheranern und Reformierten. Er freute sich auch darüber, dass aus Rücksicht auf seine besonderen Sensibilitäten viele Bilder aus der Kirche entfernt worden waren.

Einige „schwierige“ Gäste dagegen mussten getröstet werden: Adolf Clarenbach etwa, gespielt von Jörg Fahrbach, Kölns prominentester evangelischer Märtyrer –Leidensgenosse Peter von Fliesteden, hatte aufgrund der schlechten Erfahrungen abgesagt. Beschwerden kamen von Johannes Calvin alias Harald Kriegsmann, weil ihn die Nachwelt als Unerbittlichen, oder - wie der Schriftseller Stefan Zweig – gar als „grausamen Diktator“ ansehe. Und für Kurt Benders Thomas Müntzer fand „Käthe“ von Bora passende Worte: „Meiner Meinung nach hast du manches nur konsequent zu Ende gedacht.“ „Ja, ja, aber bitte nicht zu viel davon“, bemerkte der Gatte nebenan.

Überraschend sicher war der Auftritt von Ignatius von Loyola, Mitbegründer des Jesuitenordens. „Kirche ist immer eine reformierte Kirche“, ließ sein „Darsteller“ Markus Sprenger den Kopf der Gegenreformation sagen, es gehe doch heute nicht mehr um theologische Spitzfindigkeiten, sondern um die Frage, wie man die Menschen überhaupt noch erreichen könne: „Wir müssen die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellen, es sollte keine 500 Jahre mehr dauern, bis die Kirchen wieder zusammenkommen.“ Und mit Josel von Rosheim hatte sich sogar ein Rabbiner ganz in die Nähe Martin Luthers gewagt. Er schloss sich der Erklärung von 50 orthodoxen Kollegen aus dem Jahre 2015 an, wonach die Jahrtausende alte Feindschaft und Entfremdung zwischen Juden und Christen endlich begraben und durch eine Partnerschaft ersetzt werden sollte. „Beschämt“ zeigte sich Luther ob dieses Angebots, schließlich hätten auch seine „furchtbaren“ Invektiven gegen das Judentum zu den verheerenden Folgen des Antisemitismus in der Geschichte beigetragen, hätten sich verbrecherische Regimes auf ihn berufen.

Wie die anderen Beteiligten auch hatte Heinrich Boden Nachforschungen zu „seiner“ Figur angestellt: „Dabei habe ich herausgefunden, dass sich Luther mit diesem Rabbiner anfangs noch sehr gut verstanden hatte.“ Dem Rabbiner habe die Begeisterung Luthers für die Psalmen des Alten Testamentes gefallen, doch während er hoffte, dass die verständigeren Christen zum Judentum übertreten würden, hatte Luther anscheinend darauf gebaut, dass die Juden dem reformierten Christentum beitreten könnten. So war aus Enttäuschung wohl mit der Zeit leider Hass entstanden.

Groß war auch die Zahl der Frauen der Reformation, die Pfarrerin Ina Schlarp als französischen Theologin Katharina Zell vorstellte. Doch irgendwann bekam die Hausherrin Rückmeldung vom gemeinen Volk, das sich zwischen all den Tischreden auch mal stärken wollte. Denn die Veranstaltung stand nicht umsonst unter dem Luther-Motto: „Iss, was gar ist, trink, was klar ist, sprich, was wahr ist“. Ruth Messerschmidt als Sabina Welser, eine Kochbuchautorin der Reformationszeit, trug mit ihrem Gesinde aus Mägden und Mundschenken - gestellt von der fleißigen Gemeindejugend - ordentlich auf: Bauernbrot mit Sabinas Schmalz und Klosterquark, das Eintopfgericht Wittenberger Bürger-Topf, als Nachtisch eine „Grießspeise mit Fallobst aus Luthers Garten“. Dazu gab’s Lutherwein und Knechtstedener Schwarze als Ersatz für Katharina von Boras Selbstgebrautes - und zum Abschluss „Käthes Festtags-Likör“ und „byzantinischer Türkentrunk“ – heute als Kaffee geläufig.

Die sinnlichen Genüsse der Lutherzeit wurden dabei passend durch die Klänge der „Spielleute Zwieclanc“ vervollständigt. Norbert Paar am Cembalo und Anne Kordes-Pistorius an der Traversflöte boten mittelalterliche Musik, während der Projektchor „Bei Luthers zu Tisch" unter der Leitung von Min-Ga Seo mit Liedern wie „Ein feste Burg“ immer wieder liturgische Akzente setzte.

Der Spaß am Rollenspiel und die angeregten Diskussionen bei Tisch führten dazu, dass etwas später als geplant geworden war, als sich die Gäste schließlich zum Thesenanschlag von 2017 begaben. Der erfolgte durch das zeitgemäße Anheften von „Post-Its“ an eine ausgehängte Tür des Gemeindesaals. Zu Fragen wie „Die Zeit ist reif – wofür?“, „Wofür will ich selbst eintreten?“, „Wo sage ich: Hier stehe ich, ich kann und will nicht anders?“ konnten die Besucher sie ihre Antworten notieren. Eine erste Durchsicht ergab, dass Themen wie Gerechtigkeit, Respekt, Bewahrung der Schöpfung und immer wieder ein stärkeres Miteinander der Religionen und vor allem der christlichen Kirchen im Vordergrund standen. „Diese Thesen werden im Nachgang als ‚DenkMal‘ in weiteren, zum Teil ökumenischen Veranstaltungen aufgearbeitet und behandelt“, verriet Christoph Stein, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden – oder auch „Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg“, wie er an diesem Tag hieß.



Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans