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Projektberichte

09.07.2015
Gedanken zum Motto des Reformationsjubiläums 2017: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“
Superintendent Dr. Bernhard Seiger über einen Psalm des Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch

Vor kurzem hat die Evangelische Kirche im Rheinland den Anfangssatz eines Psalms des Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch zum Motto des Reformationsjubiläums im Rheinland erklärt. „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“ heißt es ab sofort von Saarbrücken bis Emmerich, also auch im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, bis ins Jubiläumsjahr 2017 hinein, wenn bundesweit „500 Jahre Reformation“ gefeiert werden. Über die Bedeutung dieses Mottos, insbesondere über die drei zentralen Worte vergnügt, erlöst und befreit hat sich Superintendent Dr. Bernhard Seiger seine ganz eigenen Gedanken gemacht.


Nachfolgend zuerst der Psalm im Original, es folgt der Beitrag von Dr. Bernhard Seiger.

Dr. Bernhard Seiger


Ich bin vergnügt erlöst befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Ich bin vergnügt erlöst befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Hanns Dieter Hüsch


Wie lesen Sie diese Worte?
Sie stammen von Hanns Dieter Hüsch. Er war ein Kabarettist, Schriftsteller, Kinderbuchautor, Schauspieler und Liedermacher. Geboren wurde er 1925 in Moers als Kind evangelischer Eltern und ist in seiner Nüchternheit und Sprache vom Niederrhein geprägt. Einen großen Teil seines Lebens verbrachte er in Mainz, er wurde einer der wichtigsten Vertreter des literarischen Kabaretts, hatte zahlreiche Fernsehauftritte und veröffentlichte viele Schallplatten, CDs und Bücher. Hüsch engagierte sich auf Evangelischen Kirchentagen, zog 1988 nach Köln und arbeitete unter anderen mit dem Klettenberger Pfarrer Uwe Seidel zusammen. Johannes Rau nannte ihn einmal den „Poeten unter den Kabarettisten“. Er starb im Jahr 2005 im Westerwald. Zum reichen Schatz seiner Wortschöpfungen gehört dieser Psalm, der Ausdruck seines Lebensgefühls und seiner Frömmigkeit ist.

Die Kunst, Wesentliches zu sagen
Gute Literatur öffnet und schließt nicht ab oder engt ein. Sie lässt Raum für Assoziationen. Ich gebe hier ein paar meiner Eindrücke weiter. Manchen können Sie folgen und als Anregung auffassen, andere Hüsch-Worte werden Sie vermutlich anders lesen.

Hüsch hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das Schwere leicht gesagt“. Es ist eine Kunst, Wesentliches zu sagen und dabei eine gewisse Freiheit in Wort und Stimmung zu bewahren. Der Psalm ist in diesem Geist geschrieben. Eine gewisse Leichtigkeit durchzieht ihn, und doch sind wir dicht dran am Leben. Er beginnt mit „Ich“.

Psalmbeter beten meist in der Ich-Form, sie beginnen also bei ihrer Stimmungslage, bei ihren Erfahrungen. Er ist „vergnügt, erlöst, befreit.“ Das sind Töne eines Lobpsalms. „Gott nahm in seine Hände meine Zeit.“ Es geschieht etwas mit uns, weil Gott uns in die Hand genommen hat. Nicht wir nähern uns zuerst Gott, sondern er kommt auf uns zu. Ein zutiefst christlicher und evangelischer Gedanke. Unsere Zeit nimmt Gott in seine Hände - dies ist ein Zitat aus Psalm 31,16 „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ Was gehört alles in diese Zeit? Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen. Das, was wir erleben an einem langen gefüllten Tag, in einer ganzen Woche. Dieses Erleben hat unterschiedliche Farben. Genannt werden extreme Pole: Triumphieren und Verzagen. Wann haben wir das letzte Mal für Momente triumphiert, wann waren wir verzagt? Wie oft bewegen wir uns im Bogen einer Woche zwischen diesen Polen!

Die Begleitung Gottes geht vom Kindbett bis zur Leich
Das Elend und die Zärtlichkeit. Wir erleben Ohnmacht, wenn wir Menschen leiden sehen, nah und fern. Oder wenn wir selber betroffen sind und körperliche oder seelische Grenzen spüren. Und wir erleben Zärtlichkeit, wenn uns jemand versteht, wenn wir Nähe erleben dürfen, wenn Musik uns gut tut oder Momente der Stille und Schönheit in der Schöpfung Gottes oder in Gottes Haus. Mit dem, was wir erleben, sind wir nicht allein. Er nimmt diese Zeit, diese Momente in seine Hände, auch jetzt und heute.

Die Begleitung Gottes geht vom Kindbett bis zur Leich. Von Anfang bis Ende. In diesem Lebensbogen stehen wir alle. Was prägt uns in diesem Bogen? Fröhlichkeit, Furchtlosigkeit auch an dunklen Tagen, Unbeschwertsein. Stimmt das?

Hanns Dieter Hüsch sagt es für sich. Der, der nüchtern das Unfertige des Lebens wahrnimmt und beschreibt. Das ist bei ihm wie in Psalm 31. Dort wird auch vom Klagen und Zagen gesprochen. Viele Psalmen beschreiben einen Weg durch Höhen und Tiefen. Am Ende stehen für den Beter fast immer der Trost und Halt des Glaubens. Die Vergnügtheit und Furchtlosigkeit sind kein Besitz, aber sie können errungen und geschenkt werden. Jeden Tag neu. Das ist christlicher Glaube. Den Glauben, die Zuversicht nicht „haben“ als Besitz, den ich sicher habe, aber sie immer neu geschenkt bekommen.

„Vergnügt, erlöst, befreit“
Und dann können wir die Erfahrung machen, dass wir tatsächlich vergnügt, erlöst und befreit unterwegs sind. „Vergnügt“, den Begriff finden wir in der Bibel nicht – aber wir finden dort die Freude im Glauben, wir finden unzählige Male das Halleluja in den Psalmen. Und als nach dem Bericht der Apostelgeschichte der Kämmerer, der Finanzfachmann, getauft wird, wird von ihm berichtet: „Er aber zog seine Straße fröhlich.“ (Apg. 8,39)

Das Wort „erlöst“. Dieses Wort finden wir häufig im Alten und Neuen Testament. Es findet sich dort das Bekenntnis, dass Christus uns von der Sünde erlöst hat, also der Trennung von Gott und der Verfehlung unserer Bestimmung. Im Vaterunser beten wir: „erlöse uns von dem Bösen“, gemeint ist das Freiwerden von Fesseln und Kräften, mit denen das Böse uns bestimmen will. Der Glaubende ist als solcher erlöst vom Kreisen um sich selber. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt, es falle ihm leichter, an das Evangelium zu glauben, wenn die Christen erlöster aussähen. Diese Anfrage könnte er auch heute stellen. Nun kann man erlöstes Aussehen nicht machen. Das wäre widersinnig. Aber dort, wo Menschen innerlich befreit sind, da fühlen sie sich auch so und strahlen das zuweilen auch aus.

Zuletzt, das Wort „befreit“. Spätestens mit dem Wort Freiheit betritt Hüsch evangelisches Kernland. Martin Luther hat 1520 die berühmte Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ geschrieben. Der Weg zur Freiheit war die Treibfeder der Reformation. Der Einzelne darf frei werden von Fesseln und aufrecht gehen. Luther beschreibt die Spannung der Freiheit „von“ und der Freiheit „zu“. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Christen sind frei vom Zwang, sich beweisen und bestätigen lassen zu müssen, und sind gerade dadurch frei, sich dem Leben, seinen Aufgaben und Pflichten zuzuwenden, um des Nächsten und der Gemeinschaft und des Friedens willen.

Wo waren Christen im Rheinland?
So kann uns dieses Motto in den nächsten Jahren durchaus an verschiedenen Orten begegnen und herausfordern. Mit Blick auf die Geschichte: Wo waren Christen im Rheinland vom evangelischen Glauben her befreit, um das Evangelium neu zu sagen? Wo und wie haben sie das in Köln getan? 1529, 1802 oder 1905? Und wo und wie tun sie es 2015 und 2017 und danach?
Möge Gott unsere Zeit, unser Suchen und Fragen, unser Reden und Tun in seine Hände nehmen.

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Dr. Bernhard Seiger ist Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd und Vorsitzender des Arbeitskreises „Reformationsdekade“ im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region. Darüber hinaus ist er verantwortlich für die Webseite „www.2017.kirche-koeln.de“.

Zum Motto des Reformationsjubiläums hat die Evangelische Kirche im Rheinland auch eine Postkarte erstellt.



Text: Dr. Bernhard Seiger
Foto(s): Jürgen Schulzki