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Projektberichte

02.09.2015
Was macht die Psalmen zu etwas so Besonderem?
Dr. Gunther Fleischer erläuterte ihre Einmaligkeit in der Auftaktveranstaltung eines ökumenischen Mitmach-Projekts der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen

Klagen, bitten, fluchen, danken: Der Psalter umfasst die Vielfalt des menschlichen Lebens wie kein anderes biblisches Buch. Aber woher stammen diese Verse, und was haben sie den Menschen in unserer Zeit alles zu bieten? Der Workshop-Tag „Lust auf Psalmen“ in der Kölner Melanchthon-Akademie eröffnete die Suche nach Antworten.

Sie gestalteten die Auftaktveranstaltung des Projektes „Mit Psalmen Brücken bauen“: Monsignore Rainer Fischer, Dr. Martin Bock und Dr. Gunther Fleischer (v.li.)

„Psalmen sind wie Brot. Ohne sie tritt die spirituelle Magersucht ein“, zitiert Monsignore Rainer Fischer Dorothee Sölle. Sie erweitern, so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Köln (ACK), die sonst so „verkopfte“ Ökumene auf eine emotionale, spirituelle, verinnerlichende Art und Weise.

Basis des ökumenischen Liedguts
So gab die ACK jetzt den Startschuss zum Projekt „Mit Psalmen Brücken bauen“, das von Januar 2016 bis Juni 2017 in Vorbereitung auf das 500. Reformationsjubiläum, interkonfessionelle Projekte fördern will. Initiiert von Rainer Fischer und Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, lockte die Auftaktveranstaltung knapp 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Interessiert und mit vielen Fragen lauschten sie dem Impulsvortrag von Dr. Gunther Fleischer, Leiter der Bibel- und Liturgieschule im Erzbistum Köln, der eingangs die besondere Rolle der Psalmen für die Verbindung der Religionen und Konfessionen betonte. So sind sie zum Beispiel auch die Basis des ökumenischen Liedguts, seinerzeit reaktiviert durch das musikalische Schaffen Martin Luthers.

Psalmen als Hör- und Sprechtexte
Was aber macht die Psalmen zu etwas so Besonderem? Gunther Fleischer erläuterte ihre Einmaligkeit in der Heiligen Schrift: Ein Psalm sei nicht nur Hör- und Lesetext, sondern gleichzeitig auch Sprechtext. Er wirke gewissermaßen in zwei Richtungen, nämlich von Gott und zu Gott hin, als Offenbarung und als Gebet. Ihre liturgische Verwendung verbinde die katholische mit der evangelischen Kirche. Keine schrieb neue, dezidiert christliche Psalmen, sondern beide Konfessionen übernahmen die Texte, welche schon Jesus und Paulus beteten und ihnen als Argumentationsgrundlage in Glaubensfragen dienten (beispielsweise im Hebräerbrief). Gunther Fleischer zieht eine Parallele zum Vaterunser: Auch dieses spreche nicht zu oder von Christus, sondern zu Gott, erneuere aber das Verständnis der Ansprache Gottes als Vater. Wir beten hier mit Christus mit – eine Dimension, die auch beim Psalmenbeten zu denken sei.

„Psalmen sind wie Brühwürfel“
Als Gebetstexte zeichneten sich die Psalmen dadurch aus, dass sie in poetischer Form menschliches Leben verdichteten, exemplarische Lebenssituationen von Einzelnen und des Volkes Israel herausgriffen und universale Emotionen konzentrierten: Opfer und Gottesdienst, Dank für Rettung, aber auch Verzweiflung bei Krankheit, Krieg und Schuld. Gunther Fleischer sagt: „Psalmen sind wie Brühwürfel. Sie fangen an zu sprechen, wenn wir sie mit dem Wasser unseres Lebens aufgießen.“ Dann zeige sich auch, dass alle Psalmen in letzter Konsequenz das Lob Gottes sängen. Im Hebräischen ist die Sammlung mit „t'hillim“ benannt, abgeleitet von „halal“, loben, und das, obwohl die meisten Psalmen als Klagepsalmen eingeordnet werden. Jedoch: Wenn sie nicht wirklich Gott loben, so Fleischer, dann dienten sie dazu, die „Lobfähigkeit“ des Beters wieder herzustellen, seine Perspektive zu transformieren, indem er sich zum Loben richtiggehend durchringe.

Ehrlich beten
Wer mit Psalmen betet, könne nichts verbergen, ist sich der Referent sicher. Fragen und Zweifel, Hass auf Feinde, Wut auf Gott und andere Tabus fänden hier ehrlichen Ausdruck. In ihrer Entstehungszeit habe man jedes Lebens- und Glaubensereignis als Gotteserfahrung gedeutet und durch das Gebet ausgedrückt. Als Beispiel führte Fleischer Psalm 139 an („Herr, du erforschest mich und kennest mich...). Dieser werde oft als vertrauensvolles Zeugnis des Gläubigen, der sich in Gottes Nähe geborgen weiß, betrachtet. Was so manche heutige Auslegung gern unter den Teppich kehre, habe der Psalmdichter vor Gott gebracht und auch in Schwierigkeiten den Dialog mit ihm nicht verlassen: Ein Aspekt, der unter den Workshop-Teilnehmerinnen und -teilnehmern für Diskussionsbedarf sorgte.

Verbindung von Forschung und Glaubenspraxis
Fleischers Vortrag beschäftigte sich auch mit der Einordnung des Psalters in ihren Entstehungskontext und zeigte Zusammenhänge auf zwischen der Lebenswirklichkeit des Israeliten und deren Niederschlag in den Psalmen, beispielsweise das Aufkommen von Schöpfungs- und Jenseitstheologie in einem multireligiösen Umfeld oder die Auseinandersetzung der Verfasser mit tradierten Gottesbildern. Auch die Architektur des Psalters schnitt er an und erläuterte anschaulich, wie die Psalmenexegese heute nicht mehr nur einzelne Psalmen betrachtet, sondern dass diese sich in Gruppen zusammenfassen lassen und einen fünfteiligen Aufbau zeigten. Darin ähnelten sie den fünf Büchern Mose und seien so selbst als Tora (also Gesetz, Weisung, Lehre) zu verstehen.

Im Anschluss an den Impulsvortrag und eine lebendige Fragerunde hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer schließlich die Gelegenheit, sich kreativ mit den Psalmtexten auseinanderzusetzen. Verschiedene Workshops luden zur individuellen Vertiefung des Themas ein und boten einen Rahmen zur Ideensuche für eigene Psalmen-Projekte im Vorlauf des Reformationsjubiläums. Zum Ausklang des Tages wurde eine ökumenische Vesper in der Kartäuserkirche gefeiert.



Text: Kristina Pott
Foto(s): Kristina Pott