Suche/Archiv
Projektberichte

30.03.2017
Frau Luthers Mittel gegen Depression
Humorvoller und gut besuchter Vortrag von Krankenhausseelsorger Dr. Rainer Fischer

„Und wenn die Welt voll Teufel wär“: Mit der Zeile aus Martin Luthers Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) überschrieb Pastor Dr. Rainer Fischer seinen Vortrag „Was Herr und Frau Luther gegen Depressionen raten“. Der Beitrag des evangelischen Krankenhaus-, Altenheim- und Psychiatrie-Seelsorgers stieß im gut besuchten Peter-Beier-Haus in Köln-Mülheim auf reges Interesse an den Rezepten des Reformatoren-Ehepaares gegen die Volkskrankheit Depression.

Pfarrer Dr. Rainer Fischer hielt im Rahmen der „Seelsorgewochen“ einen Vortrag über Luthers „Tristitia“.

Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Todessehnsucht – solche Symptome diagnostizierten bereits mittelalterliche Mediziner als Depression. Nur dass die Krankheit zu Luthers Zeiten Tristitia hieß. Den Reformator überfiel die tiefe Traurigkeit wohl erstmals als junger Mönch, und sie sollte ihn bis zu seinem Tod mehrmals packen und immer heftiger plagen. Auch in Luthers Umfeld war die Depression weit verbreitet – dies bezeugen Briefwechsel und Schriftstücke.

Eine Anfechtung Gottes?
Die „schrecklichen Gedanken“ vertraute der junge Luther seinem Beichtvater Dr. Johann von Staupitz an. „Gott prüft dich, Martin, damit du als sein Diener große Dinge ausrichtest.“ Ungefähr so lautete der Trost, der Luther, wie er später bekundete, zwar in der Krise nicht half, den er trotzdem später in wörtlicher Rede niederschrieb.
„Aus heutiger Seelsorgesicht ist ein solcher Trost an der Grenze zur Vertröstung problematisch“, kommentierte Fischer den Rat. „Wir können nur Anregungen geben, die Deutungshoheit liegt bei den Betroffenen“, erklärte der Theologe, der vorwiegend am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach tätig ist. Luther gab den Trost seines Beichtvaters in drei Briefen an den schwer depressiven Studenten Hieronymus Weller weiter, allerdings schon mit ersten Rezepten für die Akutsituation, die Prophylaxe und die Langzeittherapie der Tristitia.

Trübe Gedanken nicht zulassen
Vorbeugende Mittel, um nicht in Schwermut zu fallen, fand Luther in der Bibel. So in Jesus Sirach 30,21-23, wo es heißt: „Betrübe dich nicht selbst mit deinen eigenen Gedanken“. Bei den Kirchenvätern fand Luther das Sinnbild „Du kannst nicht verhindern, dass ein Vogelschwarm über deinen Kopf hinweg fliegt. Aber du kannst verhindern, dass er in deinen Haaren nistet.“
Aus eigener Erfahrung wusste Luther aber auch, dass der Wunsch, sich von trüben Gedanken zu befreien, oft größer ist als die Kraft. Stärkung schöpfte er aus dem Vers 1. Petrus 5,7 „Alle Eure Sorgen werft auf ihn.“ Wenn der Reformator den Bibelspruch weitergab, fügte er jedoch hinzu, man müsse ständig üben, dem „Teufel“ der dunklen Gedanken zu widerstehen. Wie der folgende Vers 8 nahe legt: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher...“

Tischgemeinschaften als Therapie
Nüchternheit im leiblichen Sinne sei jedoch nicht Luthers Bestreben gewesen, führte der Seelsorger humorvoll aus. Bei Anflügen von Tristitia legte er vielmehr Tischgemeinschaften ans Herz. „Trinke etwas reicher, treibe Scherze und Possen“, riet der Reformator. „Und sicher empfahl er nicht, Wasser zu trinken, das war damals voller Keime“, erläuterte er augenzwinkernd.

Die Perspektive wechseln
„Niemand lasse den Glauben daran fahren, dass Gott an ihm eine große Tat will.“ Die in den Tordurchgang des Collegium Augusteum der Wittenberger Universität gemeißelte Zeile stammt aus einer Magnificat-Auslegung von Luther. Sie bezieht sich auf Maria als Vorbild im Glauben. „In unserer Sprache nennt man die junge Frau, die unbedeutend war, bevor sie auserwählt wurde, eine Potenzialträgerin“, meinte Fischer, „und das ist die Botschaft, dass niemand auf seine Defizite festgelegt ist.“

Tröstungen für Mühselige und Beladene
Für den sterbenskranken Kurfürsten Friedrich verfasste Luther die „14 Tröstungen für Mühselige und Beladene“. Überzeugt, dass Tristitia aus der Furcht vor dem Tod erwächst, knüpfte er an die Heiligenverehrung des Katholiken an. In Friedrichs Auftrag hatte Lucas Cranach der Ältere die „14 Nothelfer“ gemalt. „Luther sagte zwar, das ist Aberglaube, aber er radierte das Bild nicht aus, sondern ersetzte es durch sprachliche Altarbilder“.

Frau Luthers Hausmittel
Wenn Herr Luther in Tristitia versank, spannten Frau Luther und Freunde den Wagen an und fuhren mit ihm hinaus ins Grüne. Bei den Landpartien wurden so lange Lieder gesungen, bis der schwermütige Reformator einstimmte.
Ein Rezept, geschenkt zum 57. Geburtstag, ist das Türportal zum Lutherhaus. Es ist ein steinerner Wink mit dem Zaunpfahl, sich auf die Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu besinnen, die bisher halfen, schwierige Situationen zu bewältigen. Neudeutsch ausgedrückt, versuchte Ehefrau Katharina, damit Luthers Ressourcen zu aktivieren.



Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert