Suche/Archiv
Projektberichte

04.10.2017
„Kann man als Politiker Christ sein?“
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach stellte sich dieser Frage in einer Vesper im Altenberger Dom

Gespannt warteten die Gäste im sehr gut besuchten Dom auf die Antworten des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach, der 23 Jahren lang für die CDU die rheinisch-bergische Region in Berlin vertreten hatte. Die Gemeinde hatte die Vesper unter die Frage: „Kann man als Politiker Christ sein?“ gestellt. Der Abend war eine Veranstaltung der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg im Rahmen der Reihe „500 Jahre Reformation“.

Wolfgang Bosbach zu Gast im Altenberger Dom stellte sich den Fragen von Pfarrer Stephan Sticherling

Katholisch-protestantisches Elternhaus
Pfarrer Stephan Sticherling näherte sich als Moderator zunächst dem Titel der Veranstaltung, indem er Wolfgang Bosbach fragte, was der Vater – verheiratet mit einer Protestantin – mit der Bemerkung „katholischer könne er Sie auch nicht erziehen“ gemeint habe. Der Gladbacher antwortete schlagfertig: „Das müssten Sie ihn fragen.“ Doch während die 89-jährige Mutter „putzmunter“ sei, lebe „Papa“ leider nicht mehr. Die beiden hätten selbstverständlich gemeinsam die Gottesdienste beider Konfessionen besucht, wogegen es für seine protestantischen Großeltern „völlig unvorstellbar“ gewesen sei, „dass meine Mutter einen Katholiken geheiratet hat.“ Sie seien weder zur Hochzeit gekommen noch zur Taufe des ersten Kindes. „Für meine Kinder ist das heute unbegreiflich.“

Ohne jede Form von „-ismus“ aufgewachsen
Bosbach erzählte, dass er in der katholischen Jugend groß geworden sei, sich als Messdiener und Lektor engagiert habe. „Die katholische Kirche war ein wichtiger Mittelpunkt meines Lebens.“ Zugleich habe ihn geformt, dass seine Eltern, geprägt von der Nazizeit, gegen jede Form von „-ismus“ gewesen seien, egal ob Fanatismus, Extremismus oder andere -ismen. Zum Sprung in die Politik sei es dann vor 45 Jahren durch die Diskussion um den § 218 gekommen: „Das war der Moment, als ich mich entschlossen habe, parteipolitisch aktiv zu sein.“

„Als Christen tragen wir Verantwortung“
Weiter erklärte Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Pfarrer Stephan Sticherling wie er sich täglich über das vielfältige Geschehen in der Welt informiere (er lese, bis er „den gesamten Sachverhalt“ kenne) und ob in punkto Politik generell „die Kirchen sich raushalten oder einmischen“ sollten. Bosbach dazu: „Als Christen tragen wir Verantwortung für den Nächsten. Der Christ kann sich eigentlich nicht zurückziehen bei politischen Themen.“ Umso bedauerlicher sei, dass in Deutschland weniger als drei Prozent der Bürger Mitglied in einer Partei seien. Die Kirchen hätten in seinen 23 Bundestag-Jahren allerdings häufig Kontakt zu ihm gesucht, beispielsweise bei den Themen Schwangerschaft und Hospiz. „Das sind ja originäre Themen der Kirche.“ Diese gebe der Gesellschaft „Orientierung und Maßstäbe“.

Bürgerschaftliches Engagement
Der Moderator sprach die Flüchtlingspolitik und den Einsatz der Bürger an. Bosbach lobend: „Der Staat wäre kollabiert, wenn nicht das bürgerschaftliche Engagement gewesen wäre.“ 65 Millionen Menschen seien auf der Flucht. Während manche denken würden, dieser Strom nach Deutschland versiege „wie eine Pipeline, die leer läuft“, glaube er das nicht. Allen Flüchtlingen könne von uns und Europa nicht geholfen werden. „Selbst wenn wir es wollten, können wir es nicht.“ Zwar gelte „Wer schutzbedürftig ist, bekommt Schutz“, doch die anderen müssten zurück in ihre Heimat, und wer hierbleiben dürfe, müsse unsere Rechte und Pflichten achten.

„Prüfet alles und behaltet das Gute“
Pfarrer Sticherling fuhr mit einem Zitat über Heiner Geißler fort, mutmaßte, ob auch Wolfgang Bosbach als „wertkonservativ“ einzustufen sei, und erzählte von seiner eigenen eher grün-sozi-nahen Einstellung. Der Politiker löste Lachen und Applaus mit einer fixen Parade aus: „Machen Sie sich keine Gedanken! Es ist jeder mal falsch abgebogen.“ Er selbst sehe sich nicht als wertkonservativ an, sondern halte es mit Paulus, der an die Thessalonicher geschrieben habe: „Prüfet alles und behaltet das Gute.“ Allerdings sei auffällig, dass gerade bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen „konservative Werte Konjunktur haben“ – beispielsweise Fleiß und Pünktlichkeit.

„Etwas immunisiert gegen Fanatismus“
An ein Zitat des Philosophen Carlo Strenger zur heutigen Lebenssituation anschließend, wollte der Pfarrer von Wolfgang Bosbach wissen, ob Demokratie und Freiheit in Deutschland mal wieder in Gefahr geraten könnten. „Nein, ich glaube nicht, dass Deutschland noch einmal Fanatikern und Extremisten den Weg bereiten wird“, erklärte der Bundestagsabgeordnete. Durch die Nazizeit sei Deutschland „etwas immunisiert gegen Fanatismus“. Und in Bezug auf die aktuelle Parteienlandschaft setzte er hinzu: „Ich bekämpfe die AfD zu Lande, zu Wasser und in der Luft“, aber es sei keinesfalls fair, sie mit den Nazis zu vergleichen.

Sterben Verrückte aus?
Als der Moderator einen Schlenker zur aktuellen Situation in den USA machte, seufzte Bosbach: „Man meint, irgendwann müssten die Verrückten mal aussterben.“ Leider scheine es manchmal eher umgekehrt zu sein. Allerdings hoffe er, dass die US-Abgeordneten, die alle zwei Jahre gewählt werden, Druck auf Donald Trump machen. „Denn Politiker haben alle eine Angewohnheit: Sie wollen wiedergewählt werden.“

„Bis Ostern bin ich ausgebucht“
Wolfgang Bosbach konnte bei der Bundestagswahl 2017 nicht wiedergewählt werden, weil er nicht mehr kandidierte. Was er demnächst ohne MdB-Mandat in seiner Freizeit von vier Möglichkeiten am liebsten machen würde, fragte Moderator Sticherling: an der Strunde spazieren, einen Krimi ohne Politikbezug lesen, Memoiren schreiben oder fernsehgucken? „Dann nehme ich den Krimi!“, antwortete Bosbach prompt, dessen letzter Arbeitstag der 21. Oktober war. Tagesreisen wie etwa „Wiesbaden – Frankfurt – Weinfest in Refrath“ sind dann vorbei. Dadurch habe er das Land zwar hervorragend kennengelernt, aber: „Das muss ich mit 65 nicht mehr haben. Den Reiseaufwand, den kann ich nicht mehr.“ 10.000 Zuschriften erhielt er pro Jahr, davon 6.000 Einladungen. In Zukunft werde es allerdings wohl auch kaum ruhig werden, befürchtet der Politiker. Neuerdings würden viele Briefe mit „Jetzt, da sie mehr Zeit haben …“ beginnen. „Bis Ostern etwa bin ich ausgebucht.“

„Thema war eher ein Arbeitstitel“
„Wir freuen uns, dass wir uns gegen 6.000 Mitbewerber durchsetzen konnten und Sie unsere Einladung angenommen haben“, schloss Pfarrer Sticherling gegen Ende der Vesper. Dann gab es noch einmal einen Musikgenuss. Domorganist Andreas Meisner hatte die Veranstaltung musikalisch hochkarätig mit der Berlinerin Susanne Ehrhardt (Flöten und Klarinette) gestaltet unter dem Motto „Virtuoses vom Balkan“.



Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser