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Projektberichte

18.11.2017
Orgel-Premiere mit Zwischenfall
Neue Orgel beim Gottesdienst zum Reformationsjubiläum in der Kirchengemeinde Mülheim eingeweiht

Beim Choralvorspiel zu Lied 321 verlief alles noch völlig problemlos, doch als Christoph Spering, Kantor der Kirchengemeinde Mülheim, nach einer kurzen Pause mit Schwung in die Tasten griff, auf dass die Gemeinde stimmgewaltig einsetze, passierte erst einmal gar nichts. Rasch probierte der Kantor mehrere Knöpfe gleich unterhalb des Manuals aus, dann endlich gab die neue Woehl-Orgel wieder Töne von sich. Glück gehabt, auf die Gottesdienstbesucher im Erdgeschoss der Friedenskirche wirkten die Tücken der modernen Elektronik wohl eher wie eine verlängerte Pause.

Kantor Christoph Spering an der neuen Orgel

Lediglich die Gäste auf der Empore bemerkten den kleinen Zwischenfall – aber das waren nicht wenige. Denn das Gotteshaus war beim Gottesdienst zum Reformationsjubiläum mit mehr als 200 Besuchern so gut gefüllt wie sonst nur an Weihnachten, auch zahlreiche Mitglieder der katholischen Schwestergemeinde waren gekommen. Es war also der passende festliche Rahmen für die Inbetriebnahme des neuen Instruments, das gerade noch rechtzeitig fertig geworden war.

In seiner Predigt über die Bibelstelle Matthäus 10, Vers 26 bis 33, in der Jesus die Apostel auffordert, sich nicht zu fürchten, auch nicht bei der Verkündigung der Frohen Botschaft, sprach Pfarrer Klaus Müller die neue Orgel direkt an. Es müssten stets neue, aktuelle Formen des Bekenntnisses gefunden werden, um die Menschen zu erreichen, so der Pfarrer. Und eine neue, bessere Orgel, die das Zuhören wieder zum Genuss mache, eröffne auch in dieser Hinsicht ganz neue Möglichkeiten: „Gott zur Ehre, den Menschen zu Freude und Trost“, sagte Klaus Müller.

Die Gemeinde hatte sich zu diesem Schritt entschlossen, weil die Nutzung der alten, noch aus der Nachkriegszeit stammenden Orgel nicht mehr sicher war: Bei jedem Einschalten bestand das Risiko eines Funkenflugs. Da eine Reparatur sehr teuer gewesen wäre, wurde im Herbst 2016 entschieden, ein ganz neues Instrument anzuschaffen. Die Orgelbau-Werkstatt Woehl aus Marburg arbeitete in rekordverdächtigem Tempo: Erst im Januar dieses Jahres war der Auftrag vergeben worden. Nach dem Gottesdienst konnten die Besucher anhand eines eineinhalbminütigen Zeitraffer-Films das allmähliche Entstehen der Orgel nachvollziehen.

Claudius May-Woehl, der die Orgel konzipiert hatte, demonstrierte außerdem den Klang der einzelnen Register. Christoph Spering hatte bereits im Rahmen des Gottesdienstes mit längeren Vor- und Zwischenspielen zum Liedgesang sowie der Toccata und Fuge d-Moll von Bach das klangliche Spektrum des Instruments vorgeführt. Dass sie sich bestens für anspruchsvolle Orgelliteratur eignet, bewies Christoph Anselm Noll abermals zum Abschluss der Orgelführung mit einer Interpretation von Max Regers „Choral-Phantasie über Ein feste Burg ist unser Gott“.

„Noch ist die Orgel nicht vollständig“, betonte Kantor Spering allerdings. Bislang verfügt sie über 16 Register und rund 1800 klingende Pfeifen, nach Christoph Sperings Vorstellung sollen in einem zweiten Bauabschnitt bald acht Register hinzukommen. Nachdem die Gemeinde bislang 250.000 Euro aus Rücklagen für das neue Instrument aufgebracht hat, müssen alle folgenden Ergänzungen jedoch über Spenden finanziert werden. Alle Spender würden auf einer eigenen Tafel verewigt, versicherte der Kantor, der mit der neuen Orgel sichtlich glücklich ist: „Ob sie auch über 400 Jahre lang halten wird, weiß ich nicht“, sagte er in Anspielung auf die Gründung der Gemeinde Mülheim im Jahr 1610, „aber länger als die alte Orgel auf jeden Fall.“



Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans