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Projektberichte

08.10.2017
„Traditionen der Gewaltfreiheit – Gewaltfreiheit als Kern christlichen Handelns“
Professor Gottfried Orth am Donnerstag, 12. Oktober 2017, in der Melanchthon-Akademie

Gegenwärtig erleben viele Menschen ein Wiedererstarken der Gewalt, um sie herum und in der Welt. Hier erinnern viele an die Idee der Gewaltfreiheit. Gerade das Christentum hat eine reiche Tradition, allerdings oft vergessen, missverstanden oder nicht ernst genommen. Gottfried Orth zeigt in seinen Vorträgen die biblischen Linien von Gewalt und Gewaltlosigkeit, stellt Protagonisten der gewaltfreien Aktion vor, untersucht die ambivalente Haltung der Kirchen zur Gewalt und belebt die Idee der Gewaltfreiheit als realistische Möglichkeit. Ende des Jahres erscheint Orths neues Buch „Mitten im Krieg vom Frieden singen“. Im Inteview schilert er seine Sicht der Gewaltlosigkeit.

Gottfried Orth, Theologe und Trainer für gewaltfreie Kommunikation (Marshall Rosenberg), vertritt die Traditionen der Gewaltlosigkeit


Die Bibel fordert uns immer wieder zur Gewaltlosigkeit auf, Frieden ist eines ihrer ganz großen Grundthemen. Aber gleichzeitig strotzt die Bibel vor Gewalt. Was stimmt denn nun: Ist die Bibel ein Buch der Gewalttätigkeit oder der Gewaltlosigkeit?

Orth:
Die Bibel kennt beides: furchtbare Gewaltszenen und zärtliche Friedenshoffnungen, Jahwe-Kriege und Jahwes Schalom, die „Schmetterlingszone der Träume“ (Nelly Sachs). So ist ein Erbe der Gewalt und ein Erbe der Gewaltlosigkeit auf uns gekommen. Dem müssen wir uns als Christinnen und Christen, Kirchen und Gemeinden stellen. Nur wenn wir uns selbst auch als Teil des Problems individueller, struktureller und kriegerischer Gewalt wahrnehmen, können wir lernen, Teil der Lösung zu werden.

Ihr neues Buch „Mitten im Krieg vom Frieden singen“ erscheint Ende des Jahres. Worum geht’s?

Orth:
Das Buch vereinigt biographische Porträts zu Mohanda Karamchand Gandhi, Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King und Dorothee Sölle und zentrale Texte dieser Persönlichkeiten. So will es als Lese- und Arbeitsbuch im Rahmen des „Ökumenischen Pilgerweges der Gerechtigkeit und des Friedens“ anstiften zu Gewaltfreiheit und Frieden in einer Zeit, in der der Mythos erlösender Gewalt und die Praxis kriegerischer oder terroristischer Gewalt als Konfliktlösungsmöglichkeit wieder an Bedeutung in innergesellschaftlichen oder internationalen Konflikten gewinnt.

Sie haben gerade einige Protagonisten der Gewaltfreiheit genannt, wie Ghandi, Sölle oder Luther King. Die Lebenswerke dieser Menschen waren für die 70er- und 80er-Jahre sehr prägend. Wie sieht das denn heute aus? Und gibt es gegenwärtig wichtige Friedens-Aktivisten?

Orth: Die großen Vorbilder und Identifikationsfiguren kann ich heute nicht entdecken. Aber es haben sich auch die Strukturen und Aktionsformen des Protestes in den jüngeren Generationen verändert. Die Identifikation mit „festen Strukturen“ wurde weitgehend aufgegeben zugunsten spontaner, themengebundener und zeitlich begrenzter Aktivitäten oder Kampagnen.

Die Kirche war lange Zeit ein Vorantreiber der Friedenbewegung in Deutschland. Doch heute scheint der Kirche das Thema „Frieden“ verloren gegangen zu sein. Jedenfalls fällt mir spontan keine Gemeinde ein, die eine aktive Friedensgruppe hat. Sehen Sie dies auch so oder täuscht meine Wahrnehmung?

Orth:
Das sehe ich anders. So hat sich beispielsweise eine ganze Landeskirche, die badische, auf den Weg gemacht, Friedenskirche zu werden: Gewaltfreie Konfliktbearbeitung steht im Mittelpunkt des „Friedensethischen Prozesses“ der badischen Landeskirche.

Oder: Die Evangelisch-methodistische Kirche hat ein Friedenswort 2017 „Frieden gestalten: gerecht, gewaltfrei und schöpfungsgemäß“ verabschiedet, in dem sie verdeutlicht, wie sie Friedenskirche werden kann, eine Kirche, die militärische Gewalt in keiner Weise theologisch zu rechtfertigen sucht.

Oder ich könnte das Magdeburger Friedensmanifest nennen, das von unterschiedlichen Gruppen und Institutionen verabschiedet wurde.

Vielleicht kann man es so sagen: Die frühere Buntheit und Spontaneität hat sich – so meine Wahrnehmung – verändert zu einem langfristigen „Pilgerweg“ zu Gewaltfreiheit und Frieden.

Professor Gottfried Orth kommt am Donnerstag, 12. Oktober, von 19.30 bis 21.30 Uhr, in die Kölner Melanchthon-Akademie, Kartäuserwall 24b. „Traditionen der Gewaltfreiheit – Gewaltfreiheit als Kern christlichen Handelns“. 8 Euro Eintritt. Weitere Informationen finden Sie hier.



Text: Martin Horstmann
Foto(s): privat