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Projektberichte

07.11.2017
"Reformation II" mit dem Segen der Obrigkeit
Kunstaktion am #Reformationstag von Südstadtpfarrer Hans Mörtter

Diesmal hatte sogar die Obrigkeit nichts gegen die Reformation einzuwenden. Ja besser noch: Sie unterstützte sie sogar. Nichts Geringeres als die "Reformation II" rief der Kölner Südstadtpfarrer Hans Mörtter am Morgen des Reformationsjubiläums im Atrium der Lutherkirche aus. Vorher waren seit dem 27. Oktober europaweit in 95 Städten Playmobil-Lutherfiguren auf Kochplatten eingeschmolzen worden. Die Masse hatte man in Formen aus Metall gegossen, die den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Stadt darstellten. Acht Helfer brachten die Formen mit dem geschmolzenen Luther nach Köln zurück: Etwa aus Paris, Belfast, Liverpool, Auschwitz, München, Rom und Lissabon. Aber auch aus Deutz und Nippes in Köln.

Südstadtpfarrer Hans Mörtter mit zwei eingeschmolzenen Lutherfiguren

Das Projekt, das Mörtter gemeinsam mit Rochus Aust, dem neuen Kurator an der Lutherkirche entwickelt hat, stand unter dem Motto "L95 - 95 Stunden - 95 europäische Orte - 95 Buchstaben - 1 These". Aus den 95 Buchstaben entstand der Satz "Für uneinschränkbare Nächstenwürde mit respektvollster Menschenliebe und grenzenlosestem Grundvertrauen". Die letzten zwölf der 95 Buchstaben wurden am Tag des Reformationsjubiläums in den Kreis der Figuren gestellt, um den sich im Lutherkirchen-Atrium 200 Menschen versammelt hatten. Luther in der Buchstabenform steckte zwischen zwei kleinen Plexiglas-Scheiben, die in einem Fuß aus Kork befestigt waren. Mörtter hat sich darüber geärgert, dass der Playmobil-Luther die mit einer Million Stück am häufigsten verkaufte Einzelfigur des Unternehmens ist. "Das steht für mich für die Kommerzialisierung des Reformators. In der Figur werde er zu etwas "Statischem, einem Spielzeug reduziert".

Luther eingeschmolzen
"Wir haben Luther ins Fließen gebracht", erklärt der Pfarrer die "Transformation des Denkmals auf ein globales Menschsein hin". Mörtter übt Kritik an den offiziellen Feiern der Amtskirche zum Reformationsjubiläum: "500 Jahre nach hinten gucken ist ziemlich langweilig. Luther hätte wahrscheinlich gerufen: Was soll der ganze Scheiß? - Viele haben auf diesen Tag hingearbeitet. Wir fangen heute an. Mit neuer Kraft und neuer Energie." Der Pfarrer hat eine Vision: "Wenn sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten einmal eine Minute lang still wären, würde jeder seinen Herzschlag hören. Dann würden wir spüren, dass wir alle zusammen gehören und nichts und niemand uns trennen kann."

"Klänge der Religionen"
Los ging es am Chlodwigplatz. Dort verteilte Mörtter die letzten zwölf eingeschmolzenen Luther-Figuren an einige der zahlreichen Menschen, die sich dort eingefunden hatten. Vom Platz aus setzte sich - angeführt von der Obrigkeit, also einem Polizeiauto - eine Prozession über die Merowingerstraße bis zur Lutherkirche in Bewegung. Rochus Aust und einige Helferinnen und Helfer zogen Schalltrichter aus Luftkanal-Formteilen auf Sackkarren über die Straße. Aus ihnen waren "Klänge der Religionen" zu hören. Da läuteten Glocken, aber es erklang auch der Ruf eines Muezzins.

Neuer Diskurs um das Menschsein
Im Innenhof der Kirche angekommen, rief Mörtter die "Reformation II" aus. Die stützt sich neben der These aus den 95 Buchstaben auf "drei herausfordernde Ansagen", wie der Pfarrer selbst sagte. "Wir wollen einen Stein ins Wasser werfen, der eigene, sich verselbstständigende Kreise zieht. Ein neuer Diskurs um unser Menschsein auf Zukunft miteinander hin soll entstehen", fuhr Mörtter fort. Die erste Ansage lautete, dass Luthers Reformation mit der "Wiederentdeckung des gnädigen Gottes konsequent zur mutigen Freiheit des gnädigen Menschen in respektvollster Menschenliebe führt", also zur "Reformation II". Getreu der jesuanischen goldenen Regel aus Lukas 6,31: "Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch." Die zweite Ansage war noch konkreter: "Der ,Antichrist' der Moderne ist die kannibalische Weltordnung, die Gier der Kapital-Märkte, die Herrschaft der Finanz-Oligarchie und der transkontinentalen Agrarkonzerne wie Monsanto, Bayer-Leverkusen, Aventis, Pioneer, BASF, DuPont, Nestlé....". Mörtter zitierte Jakob Augstein, Kolumnist im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Die westliche herrschende Lebensart verkörpert den größten bewussten Terrorismus aller Zeiten." Der Pfarrer kritisierte insbesondere den Hunger auf der Welt: "Glaubwürdiges Christentum ist herausgefordert, gemeinsam mit den weltweit erstarkenden sozialen Bewegungen und den lokalen Bauerngewerkschaften in mutigen Widerstand zu gehen für eine Welt, die endlich menschlich wird." Nur Menschen könnten etwas ändern: "Da geht es nicht um innerliche Besinnlichkeit. Das ist Aufstand!" Konkret auf Deutschland bezogen erweise sich die Humanität der Gesellschaft im Umgang mit der Würde der Armen: "Hartz IV und Sozialrente sprechen Menschen ihre Würde und ihr Sein ab."

"Wer Angst hat, soll sich Verbündete suchen"
In der Kritik steht bei Mörtter auch die Amtskirche. In der dritten Ansage hieß es: "Die Ökumene im klassischen Sinne von evangelisch/katholisch hat sich überholt und muss sich weiten." Gefordert sei eine globale Ökumene, die offen und frei Weltreligionen wie dem Islam begegne. Die Erkenntnis, dass es nur einen Gott gebe, auf den letztlich alle Religionen bezogen seien, könnte eine neue globale Wir-Identität des Menschseins schaffen "im Wissen um die Heiligkeit jedes einzelnen Lebens". Mörtter sagte auch, dass der Glauben nicht statischer Besitz der christlichen Kirchen sei: "Die erstarrte Reduzierung von urchristlichem jesuanischen Glauben auf Dogmen in der katholischen Kirche und Lehrsätzen in der evangelischen Kirche hat zu einer großen Entfremdung des modernen Menschen von Kirche geführt." Nötig sei eine selbstbewusste Kirche, die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Sinn und Spiritualität und Lebensbezug des Glauben wahr- und ernstnehme. Dann erreiche sie auch diejenigen, die momentan der AfD auf den Leim gingen. "Menschen, die sich Angst machen lassen, sind beherrschbar." Die jesuanische Botschaft befreie von Angst. "Fürchtet Euch nicht!" laute der entscheidende Satz der Engel an Weihnachten. "Wer Angst hat, soll sich Verbündete suchen." - für Mörtter in der Kirche der "Reformation II".



Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann