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Projektberichte

22.11.2017
Die erschreckendste Nachricht wäre: "Falls es einen Gott gibt ..."
22. Altenberger Forum Kirche und Politik am Abend vor dem Buß- und Bettag zu „500 Jahre nach der Reformation – Was bringt Kirche heute noch?“

Es ist eine feste Größe im kirchlich-politischen Jahreskalender: das Altenberger Forum Kirche und Politik. Zum 22. Mal luden dazu der Ökumene Ausschuss im Rheinisch-Bergischen Kreis (RBK) und der Landrat ein. Kaum überraschend: Im Jubiläumsjahr von Martin Luthers Thesenanschlag nahm der Dienstagabend auf dieses Ereignis thematisch Bezug. „500 Jahre nach der Reformation – Was bringt Kirche heute noch?“ lautete das spannende Thema, die zahlreiche Interessierte anlockte.

Landrat Stephan Santelmann, Superintendentin Andrea Vogel, Kreisdechant Norbert Hoerter und Pastor Christoph Becker

Gott ist da – immer und überall
Auftakt war traditionell der Ökumenische Gottesdienst im Altenberger Dom, einem der großen Orte der Ökumene im Rheinland. Nachdem Andrea Vogel, Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, und Norbert Hörter, Kreisdechant im RBK, den Gottesdienst am Abend vor dem Buß- und Bettag eröffnet hatten, predigte Pastor Christoph Becker von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Leichlingen-Weltersbach über Jeremia 29, 1–7. Der Prophet habe den Israeliten, deren Tempel in Trümmern lag und die im babylonischen Exil lebten, versichert: „Hier ist euer Platz“ und „Gott ist da. Auch in Babylonien.“ Dass Gott immer und überall da ist, sei die zentrale Botschaft. „Es muss für die Israeliten eine Art Reformation gewesen sein.“ Jeremia habe zudem betont „Suchet das Wohl der Stadt, denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl“. Eine Formulierung, die sicher dem neuen Landrat des RBK, Stephan Santelmann, gefiel, der vor dem ökumenischen Segen zu Imbiss, Umtrunk und Podiumsdiskussion ins nahe Martin-Luther-Haus einlud.

Kartoffelsuppe und Kölsch
Nach der Stärkung mit Kartoffelsuppe und Kölsch, das Pfarrerin Claudia Posche als Hausherrin eigenhändig zapfte, waren alle gespannt auf die Diskussion, die WDR-Journalist Uwe Schulz mit sprachlichen Spitzen und bisweilen Ironie moderierte. „500 Jahre nach der Reformation – Was bringt Kirche heute noch?“ – dazu sollten vier kompetente Personen auf dem Podium Stellung beziehen: Dr. Frauke Hartung, die als protestantische Oberin die zumeist in der Pflege tätige DRK-Schwesternschaft Bonn e. V. leitet, Dr. Gerd W. Achenbach, der als Protestant und Philosoph eine Philosophische Praxis in Bergisch Gladbach führt, Rainer Deppe, der als katholischer CDU-Politiker den RBK im Landtag vertritt, und Pfarrer Norbert Fink, der als katholischer Jugendseelsorger und Autor von „Hallo Welt, hier Kirche“ auf Tuchfühlung mit Mensch und Medien geht.
Pfarrer Norbert Fink, Oberin Dr. Frauke Hartung, Landtagsabgeordneter Rainer Deppe, Philosoph Dr. Gerd W. Achenbach und Moderator Uwe Schulz

Ein „Publikumsanwalt“ mischte mit
Zusätzlich zu diesem geballten Knowhow konnte sich das Publikum mit schriftlichen Voten und Fragen über einen „Publikumsanwalt“, Kreispressesprecher Alexander Schiele, zu Wort melden. Da wurde beispielsweise bemängelt, dass die Kirche eine unverständliche Sprache spreche, keinen Bezug zur Lebenswelt habe und zu viel verwalte, oder auch gelobt, dass die Kirche ermutige, Kraft zur Liebe gebe und der Heilige Geist für das persönliche Engagement unabdingbar sei.

Kritik am munteren „Pingpongspiel“
Ein munteres und kurzweiliges „Pingpongspiel“ ergab sich so zwischen Moderator, Podiumsgästen und Publikum. Doch als die Zeit um war, zeigten sich zahlreiche Zuhörer dennoch enttäuscht. Die einen bemängelten, dass nicht alle Publikumsfragen beantwortet worden seien. Andere bedauerten, dass die hochkarätigen Gäste teilweise zu wenig zu Wort gekommen seien und vor allem die Themenfrage des Abends offenbar aus dem Blick geraten sei. Wie welcher Podiumsteilnehmer die Frage „500 Jahre nach der Reformation – Was bringt Kirche heute noch?“ wie beantworten würde, blieb für sie unklar.

Was „zukunftsfähig“ und „Werte“ problematisch macht
Was hängen blieb, waren vor allem einzelne Statements, besonders von Philosoph Dr. Achenbach, der schon die Formulierung des Themas „ein bisschen komisch“ fand. Das „heute noch“ impliziere, dass der Untergang eingeläutet sei. Dabei sei die Kirche doch „eine der eindrucksvollsten Institutionen“. Auch dass manche sie „zukunftsfähig“ machen wollen, irritierte ihn. Das Wort sei fatal, da es der Unternehmenssprache entstamme. Glauben habe mit Unternehmen nichts zu tun. Auch „Werte“ sei ein vertracktes Wort, da Werte schnell wechselten, philosophisch angemessener sei es, wie früher, von „Tugenden“ zu sprechen. „In der Sprache zeigt sich das Denken“, so der Philosoph.

Der neue Papst ist „nicht unsexy“
Oberin Dr. Hartung stieß auf Zustimmung mit Statements wie „Theologische Lehre und soziales Handeln – beides braucht es, um Kirche zu leben“. Sie hofft, dass die Patienten die christliche Überzeugung des Teams spürten. Überraschung löste ihre Beobachtung aus, dass die jungen Mitarbeiter in der Pflege „den neuen Papst nicht unsexy finden“. Der Grund: „Er zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sozial handelt.“

„Deutlicher über die Gegenwart reden“
Politiker Deppe erinnerte daran, dass knapp Zweidrittel der Deutschen der Kirche angehörten und dass „deutlich mehr Menschen in die Kirchen als in die Fußballstadien“ gingen. Dennoch vermutete er in punkto Kirche: „Wenn man deutlicher über die Gegenwart redet, könnte man vielleicht auch mehr Leute erreichen.“ Er selbst versuche, seine christliche Haltung auch in seiner politischen Arbeit deutlich werden zu lassen.

„Nähe schulden wir einander“
Pfarrer Fink hätte sicherlich noch mehr aus seiner praktischen Arbeit erzählen können, als dass er Menschen, die das erste Mal seinen Gottesdienst besuchen, mit Handschlag willkommen heißt – was sehr gut ankomme. Er, der auch rappt, gab zu, dass Kirche „vor allem im Gottesdienst“ häufig langweilig sei. Doch er warnte davor, alles Gestrige über Bord zu werfen: „Der Schnee von gestern ist das Wasser von morgen.“ Wichtig sei es, die Kirche nicht als Serviceanbieter weiter zu etablieren, sondern bei den Menschen die „Mündigkeit eines Christen“ zu fördern und Nähe zu leben. „Diese Nähe schulden wir einander, wenn wir Christen sind.“ Was er den Menschen bringe? „Ich hoffe Liebe.“

Bei Jugend „außerordentlich starkes Interesse an Religion“
Philosoph Dr. Achenbach, der sich als Jugendlicher der evangelischen Kirche trotz elterlichen Spotts zuwandte („Na, warst du wieder heucheln?“), betonte, dass in seiner Praxis religiöse Themen den meisten Zulauf hätten. „Bei den jungen Leuten gibt es ein außerordentlich starkes Interesse an Religion.“ Tatsächlich stecke in der biblischen Botschaft ein revolutionärer Zug, der „gerade für jüngere Menschen viel eher nachvollziehbar sein müsste als für alte“. „Wenn das mehr betont würde …“, sinnierte der Bergisch Gladbacher und vermutete: „Die Bewirtschaftung der religiösen Fragen ist womöglich momentan in der Kirche nicht in den besten Händen.“

„Falls es einen Gott gibt …“
Auch mit einem anderen Gedanken faszinierte der Philosoph seine Zuhörer: Die „Entdeckung, dass Gott tot ist“ habe das 19. Jahrhundert tief erschüttert, inzwischen sei diese These jedoch „fast lapidar“ geworden. Für heute gelte: „Die erschreckendste Nachricht wäre: Falls es einen Gott gibt ... Denn das würde heißen, dass es einen ganz anderen Blick auf die Welt gibt, als den, den wir uns angewöhnt haben.“ Und damit schlug Dr. Achenbach den Bogen zu Luther, für den die Frage ausschlaggebend gewesen sei: „Wie muss ich leben, das ich vor diesem Blick bestehen kann?“ Die Schlussfolgerung des Philosophen in Richtung Kirche: „Wenn das betont wird, kriegen Sie auch bei jungen Leuten – zu Recht – Gehör.“ Input zum Nachdenken hatte das Publikum so auf dem Nachhauseweg genügend. www.oekumene-gl.de, www.altenberg-dom.de



Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser