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Projektberichte

27.11.2017
„Kultur ist manchmal auch Herausforderung“
Diskussion zum Umgang mit antisemitischen Artefakten an Kirchen - Studienabend zum Buß- und Bettag in der Melanchthon-Akademie

„Sollte man das Bildnis ‚Judensau‘ an der Stadtkirche in Wittenberg hängen lassen und als historisches Objekt einordnend kommentieren? Oder das Bild abnehmen und ins Museum stellen, weil die Verschmähung von Juden im öffentlichen Raum keinesfalls etwas zu suchen hat?“ Diese Frage stellt sich in vielen Städten, an deren Kirchen die obszöne antisemitische Skulptur hängt – unter anderem auch am Kölner Dom. In der Melanchthon-Akademie in der Kölner Südstadt widmete sich der Studienabend am Buß- und Bettag vor rund 70 Zuhörern der Kölner und der bundesweiten Debatte.

Prof. Johannes Heil und eine Auswahl von Bildern zum Thema Judensau auf der Leinwand

Die Darstellung der „Judensau“ sei besonders im deutschsprachigen Raum verbreitet, erklärte Professor Johannes Heil, Rektor der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg, in seinem Impulsvortrag zum Abend. Das älteste derartige Motiv im Dom in Brandenburg/Havel soll von 1230 stammen. Verbreitet habe sich die Darstellung dann im 14. Jahrhundert. Das Internetlexikon Wikipedia listet 35 solcher Skulpturen auf, von denen die meisten noch erhalten sind.

Das Bild der „Judensau“ zeigt ein Schwein im Kontakt mit Juden, die an ihrer damals vorgeschriebenen Kleidung als solche zu erkennen sind. Die Darstellung verhöhnt und beleidigt Juden – das Schwein gilt im Judentum als unreines Tier. Ihre Wirkung hat die Darstellung bis heute: „Sie ist für mich erniedrigend und entwürdigend“, sagte Bettina Levy von der Synagogengemeinde Roonstraße im Gespräch nach dem Impulsvortrag.

Bleibt die Frage, wie mit den demütigenden Bildern umzugehen ist. Heil zeigte die verschiedenen Positionen dazu auf: Einige wollten die Figuren entfernen, sie sähen in den Skulpturen eine nicht hinnehmbare anhaltende Schmähung. Für den Künstler Wolfram Kastner seien etwa die „Judensäue“ am Kölner Dom „ein Modellfall für die Produktion von Gewalt in unseren Köpfen“. Er fordere mindestens eine deutliche Distanzierung davon. Die „Judensau“ an der Stadtkirche in der Lutherstadt Wittenberg ganz entfernen möchte der britische Theologe Richard Harvey. Das Gotteshaus solle wieder Würde und Schönheit ausstrahlen und keine Obszönitäten präsentieren.

Für Heil ist die Abnahme der Figuren nicht der richtige Weg. „Kultur ist nicht immer nur bequem, sondern manchmal auch eine Herausforderung“, sagte er. Wenn man die Figuren entferne, bleibe eine Leerstelle. Die Ideen und die Entstehungsgeschichte aber könne man nicht so einfach begraben. Er stellte auch einen aktuellen politischen Bezug her: Mit der Entfernung würde man etwa Ideen von Björn Höcke von der rechtspopulistischen AfD Raum geben. Für Höcke seien Mahnmale „Schandmale“ und verhinderten seine „erinnerungspolitische Wende“. Würde man die „Judensäue“ als Mahnmale entfernen, knicke man vor seiner Idee ein.

Für seine Position erntete Heil nicht nur Zustimmung, sondern energischen Widerspruch von einigen Zuhörern. „Vor Höcke habe ich keine Angst. Aber die Judensäue sind keine Sache der Historie, sondern schmähen Juden in der Gegenwart und der Zukunft“, so war aus dem Plenum zu hören. Man könne Christen nicht dazu „verdonnern“, ein dem Evangelium widersprechendes Symbol an der Kirche zu dulden, nur weil es dort schon immer hinge und die Entfernung „ahistorisch“ wäre. Er selbst wolle die Figuren nicht zerstören, aber ins Museum stellen, das böte sich in Wittenberg im Lutherhaus und in Kölns Domschatzkammer oder Diözesanmuseum geradezu an.

Auch Köln ist von der Diskussion betroffen, am Dom gibt es sogar zwei der antisemitischen Darstellungen: eine Schnitzerei im Chorgestühl und einen Wasserspeier am Südostchor. Wie schwierig es trotzdem war und ist, in der Stadt für das Thema zu sensibilisieren, berichtete Dr. Bernd Wacker von der Karl-Rahner-Akademie. Erstmals ernsthaft öffentlich bearbeitet habe man das Thema bei einer Veranstaltung mit Wolfram Kastner im Jahr 2002. Ein weiterer Schritt war 2008 die Auseinandersetzung mit dem Thema unter dem Titel „Der Dom und die Juden“ im Domblatt, dem Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins, das sich kunsthistorisch mit der Problematik befasst. Allerdings: „Es gab kaum Rezensionen, also war es kein Thema in der Öffentlichkeit“, sagte Wacker.

2013 seien Gespräche über angemessene Maßnahmen an der fehlenden Redebereitschaft des Domkapitels gescheitert. Erst seit 2016 gibt es einen Arbeitskreis mit allen Beteiligten. „Vorschläge sind dort etwa, die Figuren für einen bestimmten Zeitraum zu verhängen oder Führungen zu dem Thema ins reguläre Programm aufzunehmen“, sagte Wacker. Auf jeden Fall gehe es darum, keine Leerstellen zu schaffen. Es müssten Formen gefunden werden, die klar den Gedanken verhindern: Die Figuren sind dort, also bejaht die Kirche das. Um ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für Antisemitismus zu schaffen, müsse aber schon bei der frühen Bildungsarbeit angefangen werden, betonte Dr. Marcus Meier von der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.



Text: Julius Georg Fiedler
Foto(s): Julius Georg Fiedler