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Projektberichte

06.01.2017
„Meine Kirche in 50 Jahren“
Ein Beitrag des Zollstocker Pfarrers Gerhard Johenneken

Heute startet unsere neue Reihe „Meine Kirche in 50 Jahren“. In loser Folge finden Sie hier übers Jahr verteilt Beiträge von Menschen, die anlässlich des Jubiläums „500 Jahre Reformation“ darüber nachdenken, philosophieren, fabulieren und spekulieren, wie unsere Evangelische Kirche in 50 Jahren aussehen könnte. Den mutigen Auftakt macht Gerhard Johenneken, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Zollstock.

Pfarrer Gerhard Johenneken


Wie ich sie mir vorstelle, meine Kirche, in 50 Jahren? Grübel, grübel! Ich bin ja schon froh, dass mich im Jubiläumsjahr der Reformation niemand gefragt hat, wie ich mir meine Kirche in 500 Jahren vorstelle. Und trotzdem: 50 Jahre voraus?

Alles in einem kleinen Endgerät zusammengepackt
Nun bin ich in der glücklichen Situation, wenigstens schon mal 50 Jahre (+ x) zurückschauen zu können. Auf Kindheit und Jugend im Pfarrhaus und diversen Kirchen, Jugendkellern, Kirchengemeinden, auf 30 Jahre Pfarramt. Hatte zum Beispiel mein Vater noch ein Studier- und Gesprächszimmer, so ist mein Arbeitszimmer im Pfarrhaus eher das Geschäftsführerbüro eines Kleinunternehmens mit reichlich viel Kommunikationstechnologie und Peripheriegeräten. Mache ich abends mal das Licht aus, glimmt die Arbeitsumgebung wie der Führerstand einer Star Wars-Fregatte.
Das allerdings könnte in 50 Jahren anders sein. Da ist dann alles in einem kleinen Endgerät zusammengepackt: Schriftstücke, Sitzungsunterlagen, Termine, Bilder, Kontakte in Ton und Bild sind darin gespeichert bzw. werden per Funk direkt auf hauchdünne Datenfolien geschickt, die überall zur Hand sind. (Man lese mal den spannenden SciFi-Krimi des Schriftstellers und Wirtschaftsjournalisten Tom Hillenbrand mit dem Titel „Drohnenland“.)

Kirche 4.0. Wird es sie geben?
Überhaupt die Digitalisierung: Kirche 4.0. Wird es sie geben? Mit Androiden im Seelsorgeeinsatz, auf Hausbesuch, am Krankenbett, auf der Kanzel? Nicht diese ungelenken Blechroboter mit Automatenstimme, sondern „automatisierte Partner“ mit erstaunlichen intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten. Auch dies eine Lesefrucht: „Germany 2064“ vom englischen Schriftsteller und Journalisten Martin Walker. Die Krimihandlung ist eher ein bisschen flach, die im doppelten Sinne des Wortes vorgestellte Zukunft enthält dafür umso spannendere Erkenntnisse eines Zukunftskongresses, auf dem die amerikanischen Unternehmensberater von A.T. Kearney im Jahr 2014 zusammen mit deutschen Wissenschaftlern, Wirtschaftsleuten und Politikern einen Zukunftsentwurf entwickelt haben, den Walker in seinem Roman verarbeitet hat. Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel, Migration, Europa und die Welt, alles drin. Und meine Kirche in 50 Jahren? Ich bin da eher unbedarft und „prä-faktisch“ unterwegs und kann es mir leisten, fröhlich drauflos zu vermuten, zu prognostizieren, zu behaupten und zu phantasieren.

Als „Bauhaus“-Kirche unter Denkmalschutz
Meine Kirche, das ist das Gemeindezentrum Melanchthonkirche in Köln-Zollstock. Ich leg mich da jetzt mal fest. Die wird auch in 50 Jahren noch stehen, Kriegs- und Katastrophenszenarios lasse ich außen vor. Sie abzureißen wird zumindest schwer fallen, denn sie steht seit vielen Jahren als „Bauhaus“-Kirche unter Denkmalschutz. Sie ist baulich gut in Schuss, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und keinen Renovierungsstau entstehen lassen.

Spirituelles, kommunikatives Gemeinwesenprojekt im Veedel
Ob sie dann noch „unsere“ Kirche ist, das ist allerdings eine andere Frage. Vielleicht gehört sie mit ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von Kino im Kirchsaal bis Muckibude (im Souterrain befindet sich seit der Einweihung 1930 eine Turnhalle) einem cleveren Investor, von dem wir gegen Entgelt ein Nutzungsrecht für Gemeindeveranstaltungen, Gottesdienste und Konzerte eingeräumt bekommen. Vielleicht teilen wir sie mit der katholischen Nachbargemeinde, mit Vereinen, Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. Ein spirituelles, kommunikatives Gemeinwesenprojekt mitten im Veedel. Etwas davon lebt jetzt schon im Konzept der Melanchthonkirche, die mehr sein will als ein Clubhaus der „frommen“ Insider.

Die Melanchthonkirche im Pfingststurm

Erlebte Gemeinschaft, Resonanzerfahrungen vielfältiger Art
Meine Kirche, das ist mehr als ein Gebäude. Das ist meine und unsere Gemeinde. Das sind Menschen, die zu etwas hinkommen und von etwas ausgehen. Und das hat mit der Erzähl- und Lebensgemeinschaft Christentum zu tun, mit biblischen Geschichten und Reflektionen, mit erlebter Gemeinschaft, mit Resonanzerfahrungen vielfältiger Art, mit Wort und Tat.

Öffnung des Ordinationsrechts
Ob wir dann noch die Gemeinde in den jetzt bekannten Grenzen sind? Wahrscheinlich nicht. Die Welle der Fusionen von Kirchenkreisen und Gemeinden wird weitergehen. Wir pflegen schon seit einigen Jahren ein gutnachbarschaftliches und Vertrauen förderndes Miteinander in den Gemeinden am Bayenthal-, Raderthal- und Zollstockgürtel. In 50 Jahren sind wir wieder eine Gemeinde, wie wir es vor 50 bzw. 80 Jahren auch waren. Bayrazo. Klingt doch gut! Aber nach den Pfarrstellenberechnungen dann eine Gemeinde mit einer Pfarrstelle. Das geht nur mit einer Beschreibung des Wesentlichen, mit einem fleißigen Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen, mit einer Öffnung des Ordinationsrechts, mit so wenig wie möglich Bezirksegoismus und größtmöglicher Nähe zu den Menschen. Die Landessynoden 2017, 2037 und 2067 werden das Nötige regeln. Wenn es sie dann zukünftig noch gibt, die Landessynode.

Über Gemeindegrenzen und Kirchengrenzen hinaus
Meine Kirche, das ist nämlich auch „die“ Evangelische Kirche mit ihren gewachsenen Strukturen und Instrumenten. Was ist – in welcher Form und mit welchen Instrumenten auch immer – erhaltenswert? Auf jeden Fall eine Struktur, die den Gemeinden hilft, Gemeinde zu sein: den Menschen nah, dem vielstimmigen und doch immer wieder sehr eindeutigen Evangelium verpflichtet, das uns nötigt, auch über Gemeindegrenzen und Kirchengrenzen hinauszuschauen. Als übergemeindliche Gestalt von Kirche verkörpert sie die Notwendigkeit, Anteil zu nehmen, sich nicht selbst genug zu sein, Kräfte und Begabungen zu bündeln und zu teilen. Ob sie dann noch Volkskirche im alten Sinne ist – und ihre Diakonie so eine Art Volksfürsorge: vom Kindsbett bis zum Pflegebett –, das bezweifle ich. Aber sie wird gesellschaftlich relevant sein, mehr noch: nicht entbehrlich. Denn sie ist ja mehr, als Menschen aus ihr machen.

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Text: Gerhard Johenneken/knap
Foto(s): Privat/Johennken