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Projektberichte

31.01.2017
„Meine Kirche in 50 Jahren“
Eine Kirche verändert sich. Zum Beispiel das Gemeindezentrum Matthäuskirche. Ein Beitrag von Pfarrer Armin Beuscher

Ein Haus für Menschen, für die Liebe und das Leben und so auch für Gott, der mittendrin ist, wie die Kirche immer schon mittendrin war – das ist die Matthäuskirche. Nie eine Kathedrale, eher eine Krypta, nie Glanz und Gloria, immer geerdet und einfach, den Suchenden, am Rand Stehenden, den Netzwerkfreundinnen und -freunden nahe. Ein Ort der Begegnung auf Augenhöhe – so hatten es die Mütter und Väter in den 70er Jahren angedacht, und nun fast 100 Jahre später wird das Konzept neu fortgeschrieben.

Im Urlaub dürfen die Gedanken fließen – auch mal in das Jahr 2067 ...

Das Zentrum wurde nicht abgerissen, ein wenig kernsaniert, dem neuen Bedarf, den neuen Bewohnenden angepasst und die Fassade ist freundlich und hell geworden. Als sich die Gemeinde auf den Weg machte zu einer demenzsensiblen Gemeinde, waren die Veränderung der Alterspyramide schon lange Thema. Dass aber die Lebenserwartung weiter so steigen und das Vergessen so viele Menschen ereilen würde, das hat selbst Fachleute überrascht. Wie hilfreich, dass die Gemeinde schon seit Jahrzehnten hier einen Bedarf sah, und sich so auf diese Entwicklungen eingestellt hatte.

Rückkehr zu den Wurzeln
Für einige Bewohnende ist es wie eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. Waren sie vor 80 Jahren in der Kita auf dem Außengeländen beim Sandbuddeln aktiv, so ist jetzt auf der selben Fläche ein Sinnesgarten angelegt, der viele Elemente aus dem Erleben der frühen Jahre aufgreift. Kräuter und Bäume, die vor 70 Jahren gepflanzt wurden, laden zum Berühren, zum Sehen und zum Riechen ein. Einige sind mittlerweile fast in den Himmel gewachsen. Es berührt zu sehen, wie ältere Menschen den wieder angelegten Sandbereich für sich entdecken. Beim „Backen“ mit Sand wird die Kindheit begreifbar.
Zur Bewegungsbaustelle wird das Gemeindezentrum Matthäuskirche auf der Gleueler Straße in Köln

Auf allen Etagen Wohngemeinschaften
Von der Gartenfläche aus gelangen die Bewohnenden auch zu ihren Zimmern. Die vielen Wohnungen im Haus sind auf allen Etagen zu Wohngemeinschaften geworden. Einige kennen dieses Lebensmodell aus ihrer Studierendenzeit. Eine Wohnküche, in der gemeinsam gekocht und gespeist wird, ein Wohnzimmer und vier Einzelzimmer für jeden plus ein Zimmer für eine begleitende Fachkraft. Auf den gut umrahmten Flachdächern stehen Liegestühle und der Blick auf den Dom gibt vielen ein Gefühl von zuhause: So sieht das Raumkonzept in den beiden Wohntürmen des Matthäuszentrums aus.

Mehr Input, mehr Bilder, mehr Bewegung
Der Kirchraum, der auch für gemeinsame Gottesdienste und religiöse Feiern genutzt wird, ist zugleich mit dem angrenzenden Saal eine Art Bewegungsbaustelle. Die innere Unruhe nimmt im Alter nicht ab, sondern zu. Die Generation, die am Bildschirm ihre Jugendzeit verbracht und Tamagotchis gefüttert hat, braucht mehr Input, mehr Bilder, mehr Bewegung. Unterschiedliche Angebote finden hier statt. Vor allem lädt der wunderbare Parkettfußboden noch immer zum Tanzen ein. „Was sollen die Engel im Himmel mit euch anfangen, wenn ihr nicht tanzen könnt“. Dieses Wort eines Kirchenvaters scheint auch für die Bewohnenden zu gelten. Für viele ist das Tanzen ein fast himmlisches Vergnügen.

Kosenamen „Voriges Jahrhundert“
Den Namen oder den Beruf nur mühsam erinnernd, wissen die Füße schnell, wo sie hingehören und die Arme, wie sie zueinander finden, um sich im Tanz zu drehen. Die Tanzschule VH in der Nachbarschaft steht längst zu ihrem Kosenamen „Voriges Jahrhundert“. Die Räume, die sich an den Saal anschließen, sind wieder zum ehemaligen Jugendzentrum geöffnet worden. Treibhaus – so der ehemalige Name der Offenen Jugendeinrichtung. Nur im Keller erinnert die Sauna noch an treibhausähnliche Temperaturen. In einen kleinem Raum gibt es ein Bällchenbad. Für Fitness von Leib und Seele stehen ebenfalls Räume des früheren Jugendbereichs zur Verfügung. Und in einem Filmstudio können sowohl Filme gestaltet werden als auch eigene Lebens-Filme aufgenommen werden.

Erstes Modellprojekt mit der Uni Köln
Schnittpunkt der Einrichtung ist das Café zur Dürener Straße hin. Ein Treffpunkt für Gäste, Besuchende und für die Bewohnenden. Mit der Universität zu Köln, die um das Zentrum herum alle Immobilen erworben hat, gibt es ein erstes Modellprojekt, um geschützte Räume für Menschen mit Orientierungsbedarf im Stadtteil einzurichten, die ihnen mehr Freiheit einräumen. In einem Radius von 500 Metern soll das Modell ausprobiert werden. An den Straßenecken finden sich jeweils Buttons, die Menschen drücken können, die orientierungslos sind und dabei unter Stress geraten.

Also die Zukunft wird kommen.

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Dies ist der vierte Beitrag der Reihe „Meine Kirche in 50 Jahren“. In loser Folge finden Sie auf dieser Seite übers Jahr verteilt Beiträge von Menschen, die anlässlich des Jubiläums „500 Jahre Reformation“ darüber nachdenken, philosophieren, fabulieren und spekulieren, wie die Evangelische Kirche in 50 Jahren aussehen könnte. Dieses Mal hat sich Pfarrer Armin Beuscher in das Jahr 2067 hinein gefühlt und ein Szenario für den Kölner Stadtteil Lindenthal skizziert.



Text: Armin Beuscher
Foto(s): Celia Körber-Leupold/Privat